"Von Menschen und Göttern": Sieben Brüder sterben für den Glauben

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Der preisgekrönte Spielfilm des Franzosen Xavier Beauvois zeichnet nach dem Fall der getöteten „Mönche von Tibhirine“ ein großes Glaubensdrama: spirituell und humanistisch. Ab heute.

Im Anfang liegt Frieden über dem Atlasgebirge: Esel auf dem Feld, Mönche bringen selbstgemachten Honig auf den Markt. Die Brüder des Trappistenklosters Notre-Dame de l'Atlas leben in Eintracht mit der muslimischen Bevölkerung der Umgebung: Sie nehmen an deren Festen teil, auch religiösen. Sie leisten spirituellen Beistand, die Tür des alten Arztbruders steht allen offen. Ein junges Mädchen aus dem Dorf fragt ihn nach der Liebe. In seiner Jugend sei er mehrfach verliebt gewesen, erwidert der alte Mönch, bis er eine „neue, noch größere Liebe“ fand. Ihr sei er seit 60 Jahren treu.

Das vermeintliche Idyll bröckelt schnell: Von Menschen und Göttern, der großartige fünfte Spielfilm von Xavier Beauvois, basiert auf dem Fall der sieben französischen „Mönche von Tibhirine“. Sie wurden im März 1996 während des algerischen Bürgerkriegs aus Notre-Dame de l'Atlas entführt, Ende Mai wurden ihre abgeschlagenen Köpfe gefunden. Die radikale Groupe Islamique Armé bekannte sich zur Tat, aber die genauen Umstände blieben ungeklärt: Es gibt Spekulationen über ein Komplott der algerischen Armee. Das 1938 gegründete Kloster im Atlas ist seit damals verwaist. Aber die Tat ist ohnehin nicht, was Beauvois interessiert, sein Film endet davor: Vielmehr ist sein Zugang ganz unspekulativ. Wie viele Regisseure der besten Filme mit religiöser Thematik ist er Atheist. So prägt eine Neugier Von Menschen und Göttern. Es geht um die behutsame Erforschung einer Welt des Glaubens, aber auch ganz prinzipiell: der Ideen.

Der Koran liegt stets neben der Bibel

Wenn der Abt der Mönche stets den Koran neben der Bibel auf dem Schreibtisch liegen hat, ist das kein wohlfeiles Bild für Harmonie, sondern ein Zeichen des Respekts und Aufwands, den Glaube erfordert. Die Bindung zwischen Einheimischen und Mönchen verdankt sich nicht dem beiderseitigen Misstrauen gegenüber der algerischen Regierung, der Armee, den islamischen Extremisten und den französischen Kolonialisten. Sondern sie ist durch jahrelange gemeinsame Arbeit gewachsen und durch die Bereitschaft, die Lehren der anderen Religion zu studieren. Noch als erstmals Radikale vor dem Klostertor stehen, gibt es einen Moment unausgesprochenen Verständnisses zwischen deren Anführer und dem Abt, der an Prinzipien des Glaubens appelliert, wodurch Blutvergießen vermieden wird. Fundamentalistische Phrasen und Waffengewalt weisen in diesem Film den Weg zur Gottlosigkeit.

Außerordentlich sind die Ruhe und Überzeugungskraft, mit der Beauvois eine spirituelle Vision entwirft. Anfangs lädt er zur Versenkung in den Lebensrhythmus der Mönche: Wie sie täglich gemeinsam Choräle singen oder ein frugales Mahl teilen. Beweglicheren Außenaufnahmen sind statische, oft mit Anklängen an Malerei klassisch komponierte Kloster-Innenansichten gegenübergestellt: Immer wieder wechselt Beauvois vom Gruppenbild zu Aufnahmen einzelner Brüder. Dieses Verhältnis wird entscheidend, als ein jähes Massaker an Gastarbeitern in der Nähe die Eskalation des Terrors ankündigt. Die Mönche stehen vor der Wahl, dem behördlichen Drängen auf Ausreise zu folgen und ihre Schützlinge im Stich zu lassen – oder zu bleiben und für die Prinzipien zu Märtyrern zu werden. Ein grandioses, aber angemessen uneitel agierendes Ensemble (herausragend Lambert Wilson als Abt und der fragile Veteran Michael Lonsdale als Arzt) gibt dem stillen, dornigen Ringen individuelle Züge: Zur Sprache kommen geistige und menschliche Faktoren, auch die Politik wird nicht ignoriert – ein Beamter wirft den Mönchen westliche Hochmut vor, als sie die Ausreise ablehnen: Seine Landsleute würden vergeblich von der Flucht träumen.

„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“

Doch bleibt Beauvois vor allem der innerlichen Perspektive der Mönche treu. Zwei Szenen gestalten überwältigend aus, wie sie im Zusammenhalt Trost finden – und die unerhörte Bereitschaft, in den Tod zu gehen: Ein Ehrfurcht gebietender Kamerakreis um die Brüder, während sie gegen den Lärm der über dem Kloster kreisenden Armeehubschrauber ansingen. Später ihr still geteiltes letztes Abendmahl: Während Tschaikowskys „Schwanensee“ aus dem Kassettenrekorder tönt, streift seliger Glanz über ihre Mienen. Wenn die menschlichen Figuren schließlich in weißer Winterlandschaft verschwinden, hinterlassen sie doch humanistische Ideen, die weiterwachsen und sich wandeln. Beauvois hat sie in drei Worten zusammengefasst: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2010)

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