"Die Vaterlosen": Österreichs Beitrag zur Berlinale

Vaterlosen oesterreichs Beitrag Berlinale
Vaterlosen oesterreichs Beitrag Berlinale(c) EPA (TIM BRAKEMEIER)
  • Drucken

Der Film "Die Vaterlosen", der erste Spielfilm der Österreicherin Marie Kreutzer, wurde bei der Berlinale uraufgeführt. Die "Presse am Sonntag" sprach mit der jungen Filmemacherin.

Sie sind Jahrgang 1977. Wie kommt man in Ihrem Alter darauf, einen Film über das Kommunenleben zu machen?

Marie Kreutzer: Weil das, wenn auch nicht meine Eltern, aber doch meine Elterngeneration betroffen hat. Da hat sich die Kindererziehung, insgesamt der Umgang mit Kindern sehr geändert. Ich selbst war in einer Alternativschule: Das Thema eines alternativen und freien Umgangs mit Kindern, die ohne Autorität oder Druck erzogen werden sollen – das ist mir schon vertraut.

Kinder und Jugendliche spielen schon in Ihren Kurzfilmen eine wesentliche Rolle.

In vielen Kurzfilmen geht's um Kinder und Jugendliche, da es etwas ist, an das man sich noch gut erinnern kann. Jetzt ging's mir hauptsächlich darum, über Leute in meinem Alter zu erzählen. Aber gleichzeitig geht's um ihre Herkunft und damit ihre Kindheit.

In Österreich hat das Thema ja nicht zuletzt durch die Geschehnisse in der Mühl-Kommune eine dubiose Färbung. Hat Sie das beim Schreiben des Drehbuchs beeinflusst?

An der Mühl-Kommune kommt man nicht vorbei. Auch ich habe viel darüber gelesen und mit Leuten gesprochen, die dort gelebt haben. Es war mir aber sehr schnell klar, dass ich mich davon abgrenzen will, da dieses Lebensmodell dort von einer Kommune zu etwas ganz anderem geworden ist. Das war ja ein System mit strengen Regeln und Hierarchien, das eigentlich jedem Freiheitsgedanken widerspricht. Aber es war ein Thema in der Entwicklung: Wie macht man klar, dass Hans (Gründer der Kommune im Film) kein Otto Mühl sein soll.

Zuletzt war immer wieder zu lesen, dass Sie einer neuen Regiegeneration angehören. Empfinden Sie das auch so?

Was mich sicherlich stark beeinflusst hat, war, dass es an der Filmakademie schon so eine Strömung gegeben hat, von jungen Frauen, die Filme machen. Das hat mir eine Perspektive aufgetan. Formal oder inhaltlich war der Einfluss weniger groß, obwohl ich die Filme von Jessica Hausner und Barbara Albert sehr mag.

Viele Schlüsselpositionen in Ihrem Film sind mit Frauen besetzt. Ist das eine bewusste Entscheidung von Ihnen?

Es ist keine prinzipielle Entscheidung, weil sie Frauen sind, sondern weil ich mit diesen Menschen schon lange und gerne zusammenarbeite. Aber ich habe schon ein Bewusstsein dafür, dass es Frauen in Filmberufen sehr schwer haben und immer noch unterrepräsentiert sind. Im letzten Jahr hat zum ersten Mal eine Frau einen Regie-Oscar gewonnen. Und ich verstehe es einfach nicht. Ich war auf einer Filmschule, weiß, es gibt viele talentierte Frauen.

Nach wie vor wird der österreichische Film international ausschließlich mit Haneke und Seidl in Verbindung gebracht, kaum mit Hausner oder Albert. Wieso?

Weil wir auf der ganzen Welt noch nicht so weit sind mit der Emanzipation und der Gleichberechtigung, wie wir glauben. Eine Kollegin sagt immer: Die Gleichberechtigung ist erst abgeschlossen, wenn gleich viel dumme Frauen in hohen Positionen sind wie dumme Männer. Frauen kommen ja schon viel schwerer dorthin, die müssen viel mehr leisten. Sie werden nur vorgezogen, wenn sie besser sind als Männer.

In Österreich wird Gerlinde Seitner ab Herbst dem Filmfonds Wien vorstehen, Barbara Fränzen ist Leiterin der Abteilung Film im BMUKK. Zwei Frauen, die entscheiden, welche Filmprojekte von öffentlicher Hand gefördert werden. Erleichtert das Ihnen als Regisseurin das Arbeiten?

Ich kann nicht beurteilen, was das konkret für uns verändern wird. Aber es ist jedenfalls schön. Je mehr Frauen in wichtigen Positionen sind, desto besser. Nichts gegen die Männer, die ich in Österreich alle sehr schätze.

„Die Vaterlosen“ ist ein Ensemblefilm. Welchen Herausforderungen mussten Sie sich da beim Drehbuchschreiben stellen?

Mir ist erst im Lauf der Entwicklung aufgefallen, dass ich mir etwas sehr Schwieriges ausgesucht habe. Als Fan des Ensemblefilms war es mir sehr wichtig, dass sich kein Charakter in den Vordergrund schiebt. Ich wollte auch niemanden weglassen. Als Zuschauer soll man sich zwischen den Figuren bewegen können. Es war also wichtig, die Figuren sehr stark voneinander abzugrenzen, sehr klare und trotzdem vielschichtige Figuren zu erzählen.

Wie genau waren die Dialoge vorgeschrieben? Hatten die Schauspieler Improvisationsraum?

Es ist sehr genau nach Drehbuch gedreht worden. Im Wesentlichen sind das also die Dialoge und die Szenen, die ich geschrieben habe. Es ist irrsinnig viel Arbeit, so ein Drehbuch zu schreiben. Es gibt also einen Grund, wieso es so ist, wie es da steht. Einerseits muss man beim Dreh eine gewisse Offenheit haben, andererseits ist es gut, wenn man sich an etwas festhalten kann.

Ist es schwierig, sich als junge Regisseurin in so einem großen Ensemble mit bekannten Schauspielern zu behaupten, sich durchzusetzen?

Vor dem Dreh habe ich mich überhaupt nicht gefürchtet, nur vor den Schauspielern. Aber schon am zweiten Probentag war mir klar, dass das kein Problem sein wird. Es haben alle sehr viel Offenheit und Freude an der Arbeit mitgebracht. Dass ich eine Anfängerin bin, war dann kein Thema mehr.

Die Kommune als Lebensmodell war immer auch ein politisches Ideal. In Ihrem Film spielt das Politische keine Rolle. Wieso?

Weil die Kommune aus der Sicht der Kinder erzählt ist. Für die geht's um was ganz Persönliches. Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass ich mich über die Idee von Kommunen ausbreiten muss.

Hat diese Utopie für Sie noch eine Gültigkeit oder ist die Zeit von Kommunen vorbei?

Ich habe nie so gelebt, finde aber, die Idee klingt schön. Ich würde mir nicht anmaßen zu sagen, dass das nicht funktioniert. Aber da es so ein großes Gefüge ist, ist es halt auch empfindlicher. Wenn's schwierig wird, betrifft es alle. Vor allem, wenn alle alles teilen.

61. Filmfestspiele Berlin

Die Berlinale ist das größte Filmfestival Deutschlands und gilt neben Cannes und Venedig als das wichtigste A-Festival. Zuletzt ist das Programm von Dieter Kosslick, Leiter seit 2001, aber immer heftiger kritisiert worden: Saloppe Shows und Stars können den künstlerischen Abstieg nicht mehr verdecken.

Stars sind außerdem immer weniger da – jedenfalls für Filme: Jeff Bridges kam zwar zur Eröffnungmit dem Western „True Grit“, sonst sind die bekanntesten Namen aber Jurymitglieder (wie Präsidentin Isabella Rossellini) oder deshalb in Berlin, um beim „Berlinale Talent Campus“ Vorträge zu halten.

Im Wettbewerb 2011 fehlten renommierte Regisseure, er wurde als enttäuschend bewertet. Favorisiert wurde das solide iranische Drama „Nader und Simin, eine Trennung“ – aus politischen Gründen: als Zeichen der Solidarität mit dem iranischen Regisseur Jafar Panahi, dessen Jurystuhl leer blieb, er sitzt wegen Vorbereitung eines kritischen Films im Gefängnis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Film

Die Preise der 61. Berlinale

Der iranische Film "Nader und Simin, Eine Trennung" erhielt den Goldenen Bären und Darstellerpreise. Alle Preise im Überblick.
BOLIVIA CINEMA
Film

Berlinale: Publikumspreis geht an "Tambien la lluvia"

Publikumspreis für Dokumentarfilm "Im Himmel, unter der Erde. Der Jüdische Friedhof Weißensee" - Kinobesucher gaben 23.000 Stimmen ab - Goldene und Silberne Bären am Abend
Blutrache Finale Berlinale
Film

Blutrache zum Finale der Berlinale

Der letzter Wettbewerbsfilm startet im Bären-Rennen: In "The Forgiveness of Blood" werden albanische Teenager in eine Familienfehde auf Leben und Tod verwickelt.
MurnbergerFilm belebt Berlinale
Film

„Mein liebster Feind“: Murnberger-Film belebt Berlinale

Österreicher in Berlin. In der NS-Komödie „Mein liebster Feind“ agiert das Duo Georg Friedrich und Moritz Bleibtreu furios: Abwechslung vom enttäuschenden Wettbewerb.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.