''Mein bester Feind'': Jude und Nazi tauschen Kleider

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Wolfgang Murnbergers Literaturverfilmung "Mein bester Feind" stört die Sentimentalität der Opfer- und Täterrollen. Und sie ist souveränes Unterhaltungskino mit Moritz Bleibtreu und Georg Friedrich. Ab Freitag.

Der Tenor innerhalb der deutschsprachigen Presse nach der Weltpremiere von Wolfgang Murnbergers Literaturverfilmung Mein bester Feind bei der Berlinale war eindeutig. Schnell konnten sich die Kritiker einigen: Der Tragikomödie fehlten die Gags, der doch so österreichische, „schräge“ Humor des Regisseurs habe einer Melodramatik weichen müssen, und überhaupt weise der Film ideologische Unschärfen auf. Moritz Bleibtreu als wohlgenährter Jude, der nach fünf Jahren im Konzentrationslager immer noch aussieht, als hätte er jeden Tag ein Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat vorgesetzt bekommen: Das kann doch nicht sein! Kann es, wenn man die Latte höher anlegt als beim deutschen Historienschinken aus der Bernd-Eichinger-Manufaktur, durch den sich Hitler als tragischer, suizidaler Held schleppt.

In Murnbergers Inszenierung von Geschichte, in seiner Abmischung von Humor und Tragik dient Inglourious Basterds als großes, wiewohl unerreichbares Vorbild. Paul Hengge, dem 1939 geborenen Autor der Romanvorlage „Wie es Victor Kaufmann doch noch gelang, Adolf Hitler zu überleben“, ging es wie Tarantino um das Stören der Opfer- und Täterrollen-Sentimentalität, um ein Aufbrechen des Bedeutungskorsetts, das befiehlt, wann man wie und wo angerührt zu sein, gefälligst Mitleid zu haben hat.

In Mein bester Feind begegnet man zwei Freunden: dem jüdischen Galeristensohn Victor Kaufmann (formbar: Moritz Bleibtreu) und seinem Wiener Spezi Rudi Smekal (verlässliche Proletariergröße: Georg Friedrich). 1939 rangeln sie sich noch vorwiegend um die Gunst der feschen Lena (unterfordert: Ursula Strauss). Nach dem Anschluss werden die Kaufmanns in ein Konzentrationslager deportiert, während Rudi in Naziuniform vor dem Spiegel in seiner ärmlichen Wohnung posiert. Die Identitäten werden aufgewirbelt in diesem historischen Moment: Alles ist im Fluss, minütlich geschehen freiwillige und erzwungene Kurswechsel, Familien werden zerrissen, Freundschaften annulliert.

Schlüsselrolle: Michelangelo-Zeichnung

Immer wieder zeigt Murnberger seine Figuren in Spiegelbildern, wie sie sich Fantasien hingeben, sich in andere Leben hineinträumen. Für Rudi wird das Nazireich zur Heimstatt, zur Gelegenheit, es doch noch zu etwas zu bringen: In der Kaufmann-Villa war er zwar anerkannt, aber dann doch immer nur der Haushälterinnensohn. Von ganz unten nach ganz oben, in sauberer Uniform, mit Befehlsgebrüll im Ohr: Travestien treiben Mein bester Feind an. Es sind tatsächlich aufwühlende Momente, wenn Rudi bei der Deportation seiner Ziehfamilie tatenlos zusieht, wenn er aber innen drinnen gleichzeitig fast explodiert vor lauter Scham.

Hengges Drehbuch verläuft klassisch, ist gebaut wie eine der Spiegelungen, denen seine Figuren so oft erliegen: Die erste Hälfte erzählt vom Nazi-Rudi und dem Juden Victor, davon, wie der eine dem Vernichtungsapparat zuarbeitet, der andere davon zermartert wird. Eine Schlüsselrolle kommt dabei einer verschollen geglaubten Michelangelo-Zeichnung zu: Hitler will das von den Kaufmanns beschlagnahmte Kunstwerk 1944 seinem Achsenfreund Mussolini bei einem Berlin-Besuch überreichen.

Der Kunsthistoriker des „Duce“ stellt aber schnell fest, dass es sich um eine Fälschung handelt. Rudi kommt unter Druck: Er muss versuchen, aus seinem „besten Feind“ Victor, der seit fünf Jahren in einem polnischen KZ inhaftiert ist, herauszupressen, wo sich das Original befindet. Ihr Flugzeug wird allerdings von Partisanen vom Himmel geschossen, woraufhin sich Rudi, um von den Schützen nicht hingerichtet zu werden, die KZ-Fetzen von Viktor anzieht.

Doch es sind nicht Partisanen, die sie entdecken, sondern Nazi-Soldaten: Der Jude und der Nazi haben die Kleider und damit auch die Identitäten getauscht. Ein jeder schlüpft in das Leben des anderen. Das Verwechslungsspiel hat begonnen. Murnberger trifft in Mein bester Feind nicht immer den richtigen Ton, stellenweise balanciert er ungeschickt zwischen Melodramatik und Komödie. Aber er führt seine Schauspieler meisterhaft durch diesen Parcours und profitiert vom hintersinnigen, großartigen Dialogbuch von Paul Hengge. Murnbergers Film ist souveränes Unterhaltungskino: eine altmodische Komödie, selbstverständlich mit moralischem Unterboden, die motivisch elegant durchgearbeitet ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2011)

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