Der Illusionist: Die Kinomagie von Jacques Tati

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Ein heiter-melancholischer Varietétrip: Sylvain Chomets Zeichentrickfilm „Der Illusionist“ animiert ein Drehbuch aus der Hinterlassenschaft des großen französischen Komikers Jacques Tati. Läuft derzeit im Kino.

Dass einem die hochgewachsene Zeichentrickfigur mit dem steifen, dabei paradox schleppenden Gang und den traurigen Augen bekannt vorkommt, hat schon seinen Grund: Der Titelheld des Films Der Illusionist ist ein Wiedergänger des großen französischen Komikers Jacques Tati (1907–82), basiert sogar auf einem Drehbuch aus dessen Hinterlassenschaft. Genau genommen handelte es sich bei dem 66-seitigen Manuskript um eine lose Zusammenstellung von Szenen mit dem Arbeitstitel „Film Tati Nummer 4“: Das Konzept für ein Nachfolgewerk zu Tatis weltweit erfolgreichem Oscar-Gewinner Mon Oncle (1958).  Sophie Tatischeff, Tochter und Nachlassverwalterin des Komikers, hatte das Manuskript knapp vor ihrem Tod 2001 an seinen Landsmann Sylvain Chomet geschickt. Inspiriert hatten sie dazu die bloßen Entwürfe für den ersten langen Animationsfilm des Comiczeichners Chomet, die 2003 fertiggestellte Retro-Radfahrfarce Das große Rennen von Belleville, ein im zweidimensionalen Zeichentrick stolz altmodisches, sonst eher frenetisches Vergnügen, in dem es ebenfalls um die Welt des Varieté ging.

Würdevoll unbeholfener Bühnenkünstler


Der Illusionist schlägt allerdings nostalgischere Töne an: Chomets bittersüße Geschichte erweckt Tati buchstäblich wieder zum Leben, die Titelfigur ist nicht an Tatis berühmtes Alter Ego Monsieur Hulot angelehnt, sondern an den Komiker selbst. Sie trägt dessen Geburtsnamen Tatischeff und präsentiert sich mit derselben bezwingenden Mixtur von würdevoller Unbeholfenheit. Und zwar von Anfang an: Leicht desaströse Darbietungen als Bühnenmagier in Paris (aufmüpfiges Kaninchen) und London (unangenehme Auftrittspartner: ein Quartett von Proto-Beatles-Poppern) etablieren die heiter-melancholische Stimmung.
Erst im Hinterland findet der Illusionist schließlich ein begeistertes Publikum, als er in einem schottischen Pub seine Kunststücke zeigt: Das naive Teenagermädchen Alice ist überzeugt, das seine Tricks echte Zauberei sind, und lässt kurzerhand ihr Dienstmagd-dasein im Dorflokal hinter sich, um mit Tatischeff nach Edinburgh zu gehen. Die Stadt – mittlerweile die Heimat von Chomet und seiner Frau – ist eigentlich die zweite Hauptfigur des Films: Der endet damit, dass die Lichter einer Hauptgeschäftstraße ausgehen. Unwahrscheinlicherweise wirkt dieses Edinburgh manchmal wie skizziert, dann wieder detailreich ausgestaltet – einer der Zeichentrickaspekte, die Chomets Adaption bei aller Ehrerbietung doch auf faszinierende Weise von Tatis „wirklichkeitsbasierter“ Komik unterscheiden (und sie selbst da interessant machen, wo die Übertragung in Animation eben nicht reibungslos funktioniert).

Tribut mit trefflichem Timing

Insbesondere im Mittelteil ist Der Illusionist sehr nahe an Tatis Stil, der meist auf gewöhnliche Handlung zugunsten von alltäglichen Szenen verzichtete, in denen komische Details zu entdecken sind. Da geht es um die Beziehung des ungleichen Paars Tatischeff-Alice, im Hintergrund liefert unter anderem ein Hotel voller depressiver Zirkuskünstler und fröhlicher Alkoholiker Material für Pointen, während sich der Bühnenkünstler um das Mädchen kümmert (sie ahnt nicht, dass er nächtens heimlich ein Zubrot zwischen Werkstatt und Kaufhaus verdient, was für einen Running Gag sorgt). Setzte Chomet in seinem Debüt auf überbordende Groteske, so lässt er sich hier ganz auf minimalistischen Humor mit wehmütigem Unterton ein. In typischer Tati-Manier gibt es kaum Dialoge (der Illusionist murmelt gestikulierend, Alice kontert mit knappem Gemecker), der Witz verdankt sich teilweise reinen Geräuschkombinationen oder beiläufigen visuellen Anspielungen.
Als Tribut ist Chomets mit trefflichem Timing ausgestattete Animation anrührend, wiewohl das bemüht Penible bei Tati hier stärker hervortritt: Die Erdung seines kopflastigen Slapsticks war das größte Zauberkunststück dieses Filmemachers. Der Illusionist ist letztlich ein Animationstraum davon, dass diese (Kino-)Magie noch existiert.

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