Karl Markovics: "Jede Kunst braucht eine Heimat"

Karl Markovics Jede Kunst
Karl Markovics Jede Kunst(c) REUTERS (THOMAS PETER)
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Karl Markovics zeigt in Cannes in der Reihe "Quinzaine des Réalisateurs" seinen ersten Spielfilm: "Atmen". Im Gespräch mit der "Presse am Sonntag" erläuterte er das heimische Filmwunder.

Der österreichische Film setzt sich immer besser durch. Wie steht es mit der Förderung. Gib es Defizite, Hindernisse?

Karl Markovics: Die österreichischen Filmschaffenden trauen sich mehr zu als vor zehn Jahren. Mit ein Grund sind die gesteigerte Wahrnehmung und Anerkennung von außen. Es gilt zwar als typisch österreichisch, dass man in der Heimat erst anerkannt wird, wenn das auch im Ausland der Fall ist. Ich glaube aber, dass es in Ländern wie der Schweiz oder der Slowakei nicht viel anders ist. Das hängt mit der Kleinheit des Landes zusammen. Die Strukturen der Filmförderung funktionieren gut. ÖFI, WWF und ORF-Film/Fernsehabkommen arbeiten äußerst effizient, sind aber im Verhältnis zur Zahl der Einreichungen immer noch ungenügend dotiert. Das Positive ist: Kunst- und Wirtschaftsministerium nehmen den österreichischen Film nicht mehr als bloße Nische wahr, sondern als vitalen Bestandteil der kulturellen Identität. Die Mittel wurden erheblich aufgestockt. Eins ist aber klar: Ohne Erweiterung der finanziellen Rahmenbedingungen ist der kleine Boom, den wir zurzeit erleben, schneller vorbei, als wir „Boom“ sagen können.

Sehen mehr Leute österreichische Filme?

Faktum ist: Es wird allgemein immer schwerer, Leute ins Kino zu bringen. Den Marktanteil österreichischer Filme auf über zehn Prozent zu steigern, wäre schon eine kleine Sensation. Wir werden dieses Ziel nur erreichen, wenn wir das heimische Filmschaffen aus seiner segmentierten Wahrnehmung von „Arthaus“ auf der einen und „Milieukomödien“ auf der anderen Seite herausbringen. Wie vielfältig „österreichischer Film“ ist, beweist das Festival „Diagonale“. Irgendwie muss sich das aber noch besser herumsprechen.

Wie war es für Sie, das erste Mal hinter statt vor der Kamera zu stehen?

Regie führen heißt, jede Minute Dutzende Entscheidungen zu treffen. Dass ich das kann, war eine interessante Erfahrung. Wie häufig man die richtigen Entscheidungen trifft, erweist sich erst im Nachhinein. Das kann einen wirklich fertigmachen, wenn man sich fertigmachen will. Und das war die zweite interessante Erfahrung: Ich will mich nicht fertigmachen. Da gibt es einen wunderschönen Satz in einem Stück von Ferenc Molnár: „Warum soll ich besser spielen, als ich kann?“. Diesen Satz kann man als Motto für so ziemlich alles nehmen; er ist nur scheinbar fatalistisch, in Wahrheit befreiend.

Ist es gut, wenn ein österreichischer Film österreichisches Lokalkolorit transportiert?

Jede Kunstform braucht eine „Heimat“, um überall verstanden zu werden. Das klingt nur auf den ersten Blick paradox. Wenn der Zuschauer das Gefühl hat, dass Milieu, Personen, Sprache eine glaubhafte Einheit bilden, wird er die Geschichte auch auf sich, sein Milieu, seine Sprache beziehen können. Die häufige Wesen- und Leblosigkeit von Koproduktionen mit drei, vier Partnerländern liegt im Fehlen dieser Heimat.

Ihr Debütfilm „Atmen“, der jetzt in Cannes gezeigt wird und ab Herbst in Österreich, ist das ein Krimipsychodrama?

Zu meinem Film möchte ich nichts sagen – den kann man sehen. Ich erzähle dem Publikum nach einer Vorstellung ja auch nichts über meine Rolle. Und davor schon gar nicht. Auf den Titel hat mich Elisabeth Scharang gebracht, als ich ihr auf die Frage, worum es in der Geschichte ginge, antwortete: „Im Grunde genommen ums Atmen.“

Sie haben auch das Drehbuch geschrieben, alles organisiert. Es ist sozusagen die erste hundertprozentige Markovics-Kreation.

Ich habe nach vielen Versuchen erstmals ein Drehbuch vollendet, es anderen zum Lesen gegeben, einen Produzenten gefunden, bin bei den Förderstellen angenommen worden, habe den Film gedreht, geschnitten und fertig gestellt. Alles in allem zwei Jahre Lebenszeit. Meine Faszination an dieser Geschichte ist aber nur dann relevant, wenn sie auf ein Publikum übertragbar ist. Ab jetzt interessiert mich nur noch, was andere an dem Film fasziniert. Denn das ist es, worum es immer geht: ein Echo finden beim Gegenüber.

Haben Sie viel recherchiert?

Für eine Geschichte, in der eine Jugendstrafanstalt und ein großes Bestattungsunternehmen die Eckpfeiler der Handlung bilden, waren natürlich Recherchen notwendig. Das waren zum Teil sehr intensive Erfahrungen, da ich bis dahin weder mit Gefängnis noch mit Tod in Berührung gekommen bin. Der Blick auf die Welt und das Leben wird schlagartig ein anderer, wenn man sie von einer 14 Quadratmeter großen Zelle aus betrachtet oder diesseits eines Sarges, in den ein Verstorbener gelegt wird. Ich hatte das große Glück, auf Menschen zu treffen, die mich „hinter die Türen“ blicken ließen – in der Jugendstrafanstalt, bei der Bewährungshilfe, bei der Wiener Bestattung. Ohne sie hätte ich diese Geschichte nicht erzählen können.

Was planen Sie als Nächstes?

Ich will das Unbekannte und das ist schwer zu definieren. Zum Beispiel bereite ich gerade einen neuen Film vor, habe aber noch keine Vorstellung, was für eine Geschichte es eigentlich werden wird. Es sind drei, vier mögliche Szenarien in meinem Kopf. Gemeinsam haben sie nur, dass sie unfertig, vage und schwer zu greifen sind. Das ist quälend. Die Glücksmomente sind rar, aber es gibt sie.

Erste Filmrolle in „Hund und Katz“ von Michael Sturminger
1993 ist Markovics der Kirchingerwirt in Paul Harathers Roadmovie „Indien“ mit Josef Hader, Alfred Dorfer.

Erster Oscar für Österreich 2008: Ruzowitzkys „Fälscher“
Weitere Filme mit M.: „Komm, süßer Tod“, „Franz Fuchs“.

Erster eigener Film von Markovics: „Atmen“ (2011)
Ein junger Mann (Thomas Schubert) arbeitet nach einer Haftstrafe bei der Bestattung und erforscht seine Herkunft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2011)

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