"Source Code": Film, zurück in der Zeitschleife

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Regisseur Duncan Jones, der Sohn von David Bowie, spielt virtuos und spannungsreich mit Zeitreisen. Sein Film ist allerdings ein wenig zu lang geraten und greift einmal zu oft in die Zeitschleifentrickkiste.

Lange Zeit hat die Zukunft niemanden mehr interessiert. Die Science-Fiction, diese Spielwiese für utopische und dystopische Gesellschaftsvisionen, galt bis auf wenige Ausnahmeerscheinungen im asiatischen Kino als tot, jedenfalls als unergiebig hinsichtlich kommerzieller Verwertbarkeit und Publikumsinteresse.

Es war ausgerechnet ein philosophisch angehauchter, retrofuturistisch gestylter Film, der dem seriösen Science-Fiction-Kino („Transformers“-Spielzeugfilme gelten nicht) 2009 zu einer ersten, wiewohl fast unmerklichen Renaissance verholfen hat. „Moon“ erzählt von einem auf dem Mond gestrandeten Astronauten, der es inmitten der Einsamkeit nicht nur mit einem gemeinen Bordcomputer, sondern vor allem mit seinen eigenen, erschreckenden Vorstellungswelten zu tun bekommt. Duncan Jones, Regisseur der subtilen Spannungsminiatur und Sohn von David Bowie, galt schnell als großer Hoffnungsträger zeitgeistiger Science-Fiction der alten Schule. Insofern lastet nicht gerade wenig Druck auf seinem Nachfolgeprojekt. Im Technothriller „Source Code“, den er anders als „Moon“ nicht selbst geschrieben hat, begleitet Jones den Ex-Soldaten Colter Stevens (überzeugend: Jake Gyllenhaal) auf seiner wohl ungewöhnlichsten Mission: Vermittels eines Apparats, in dem er hockt und dessen Funktionsweise nicht näher erläutert wird, reist sein Bewusstsein in die Vergangenheit. In diesem Fall in den Körper eines Mannes, der in einem Zug sitzt, der in exakt acht Minuten aufgrund einer an Bord versteckten Bombe in die Luft fliegen wird. Colter muss nun dieselbe Situation immer wieder durchleben und so beeinflussen, damit die Katastrophe am Ende nicht stattfindet.

„Trostpflaster für uns Temponauten“

Die Zeitschleife ist ein häufiges dramaturgisches Stilmittel in Science-Fiction-Erzählungen. 1961 schickte eine Episode der legendären amerikanischen Fernsehserie „The Twilight Zone“ einen zum Tode Verurteilten nach seiner Hinrichtung (und einer Schwarzblende) zurück zum Zeitpunkt der Schuldigsprechung. Etwas mehr als ein Jahrzehnt später erzählte Philip K. Dick in seiner Kurzgeschichte „Ein kleines Trostpflaster für uns Temponauten“ von zeitreisenden Astronauten, die die Zukunft immer und immer wieder erleben müssen. Erst wenn nichts mehr weitergeht, merkt der Mensch, dass sich überhaupt etwas bewegt, erst dann bewegt er sich selbst auch wieder, körperlich, vor allem aber geistig. So lautet der grundsatzphilosophische Tenor der allermeisten Zeitschleifenfantasien.

Nachdem klassische und modernistische Science-Fiction-Geschichten das Paradoxon meist gesellschaftskritisch gedeutet haben, spielt Duncan Jones seinen „Source Code“ als Mischung zwischen Hitchcock'schem Mörderrätsel und Spielberg'scher Spannungsdramaturgie aus. Wie in einem Raumzeitpuzzle lernt Colter gemeinsam mit dem Zuschauer die einzelnen Passagiere kennen, überhört ihre Gespräche, studiert ihre Bewegungen. Je schneller er sich durch die paradoxe Situation gräbt, je näher er der Wahrheit kommt, desto drängender stellt sich ihm auch eine andere Frage: Wie ist er überhaupt in den Zeitreiseapparat gekommen? Wer sind seine Auftraggeber? Und vor allem: Was passiert, wenn er die Bombe rechtzeitig gefunden hat?

„Source Code“ zeigt etliche Gemeinsamkeiten mit Jones' Erstling „Moon“: Beide Filme handeln von isolierten Männern, die sich in Scheinrealitäten wiederfinden. Beide sind stilistisch entschlackt, verzichten auf Pomp und Getöse. Und beide wirken in die Länge gezogen: „Source Code“ wäre ein perfekter Einstünder geworden, greift in seiner aktuellen Fassung einmal zu oft in die Zeitschleifentrickkiste. Dennoch: Duncan Jones bleibt einer der talentiertesten Genre-Regisseure seiner Generation. Nicht nur, weil ihn die Zukunft interessiert. Sondern vor allem, weil er die Vergangenheit verstanden hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2011)

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