"Klitschko": Immer in der Ecke des anderen

Klitschko Immer Ecke anderen
Klitschko Immer Ecke anderen(c) Dapd (Majestic Filmverleih)
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Eine neue Dokumentation zeigt die großen Brüder des Boxsports aus ungewohnter Perspektive: Wladimir und Vitali Klitschko über Frauen, ihre Doktorarbeiten und welche Ziele sie überhaupt noch haben.

Sie sind echte Champions und internationale Aushängeschilder für den Boxsport. Nun kommt eine Doku in die Kinos, die Wladimir und Vitali Klitschko aus ungewohnter Perspektive zeigt: als Söhne, Schachspieler und Grübler, als Ehemann, als Menschen mit Schwächen.

Viele Menschen können Sie nicht auseinanderhalten. Können Sie das nachvollziehen, dass man Sie verwechselt?

Vitali Klitschko: Manchmal schaue ich mir ein Foto an und weiß selbst nicht, bin ich das oder mein Bruder? Sogar unsere Mutter ist da manchmal etwas verwirrt. Wenn wir zu Hause anrufen, ist ihre erste Frage immer: „Welcher von euch beiden ist es denn?“

Wladimir Klitschko: Ich kam einmal zu Vitali zu Besuch, als seine Kinder noch etwas kleiner waren, da haben die mich „Papa“ genannt. Ich war völlig baff: „Ich bin doch euer Onkel, der Wladimir! Nicht der Papa!“ (lacht)

Kann man Sie nach „Klitschko“ besser auseinander halten?

Vitali: Ja, da wird der Unterschied zwischen den zwei Brüdern sehr deutlich. Auf den ersten Blick ähneln wir uns zwar sehr, aber trotzdem gibt es zwischen uns große Unterschiede, als Sportler und Charaktere. Unser Leben besteht ja auch nicht nur aus boxen. Deswegen haben wir versucht, sehr viel aus unserem Leben zu zeigen. Zu zeigen, wie der Traum von zwei Jungs wahr geworden ist. Dabei gab es viele Hindernisse, und die wenigsten haben an uns geglaubt.

Hatte der Film auch für Sie selbst noch Überraschungen parat?

Wladimir: Ja, es ist unglaublich, was der Regisseur Sebastian Dehnhardt an altem Video- und Archivmaterial gefunden hat. Besonders witzig fand ich die Aufnahmen von Vitali, als er mit 17 mit dem sowjetischen Team zum ersten Mal in die USA reiste...

...wo er sein erstes Cola trank, dessen Geschmack er nie vergaß.

Wladimir: Genau – das Material aus Florida hatte ich noch nie gesehen. Ehrlich gesagt, wir sind wahnsinnig nervös – Vitali, ich und das ganze Team, wie der Film bei den Menschen ankommen wird, ob sie ihn interessant finden werden.

Vitali: Eine ganz große Überraschung ist, dass unsere Eltern zum ersten Mal ein Interview geben. Meine Mutter hat das früher immer abgelehnt, sie hat gesagt: „Ich brauche kein Rampenlicht.“ Meine Eltern erzählen, wie wir zum Sport gekommen sind, wie sie mit uns durch die Sowjetunion zogen, und wir schließlich nach Hamburg kamen, wo unsere Karrieren anfingen. Als ich mir den Film angeschaut habe, war es sehr schwierig, objektiv zu bleiben.

Es trennen Sie zwei cm Körpergröße, fünf Kilo Gewicht, fünf Jahre Altersunterschied. Der eine ist Single, der andere seit 15 Jahren verheiratet und hat drei Kinder. Der eine ist der geborene Kämpfer, der andere der gelernte. Worüber streiten Sie am häufigsten?

Vitali: Wir streiten ständig.

Wladimir: Wir streiten nicht!

Vitali: Streiten ist vielleicht das falsche Wort.

Wladimir: Das völlig falsche Wort. Wir sind nicht geklont. Vitali hat fünf Jahre mehr Lebenserfahrung im Gepäck. Ich habe weniger, aber dafür andere als er. Jeder hat seine Meinung, man tauscht sich aus, diskutiert und kommt zu Kompromissen.


Bei allen Boxkämpfen ist einer von Ihnen immer der Star, der andere der Assistent in der Ringecke. Ist es einfach, das eigene Ego zugunsten des Bruders einzupacken?

Vitali: Keiner kennt Wladimir besser als ich, das Gleiche gilt umgekehrt. Wir sind immer in der Ecke des anderen.

Boxer Lamon Brewster sagt zu Recht: „Diese Jungs hätten Anwälte oder Ärzte werden können.“ Warum sind Sie Boxer geworden?

Vitali: Warum nicht? Es ist passiert, ob es Zufall war oder Schicksal. Ich könnte auch sagen: Uns lag die Spannung, und uns reizte es, der Beste zu sein. Das liegt in unserem Charakter, wir sind ehrgeizig. Im Sport sieht man ein Ergebnis ganz schnell, einen Wettkampf zwischen Anwälten oder Ärzten gibt es so nicht.

Ist das dann auch der Grund, warum Sie immer weitermachen? Sie haben doch schon alles erreicht?

Wladimir und Vitali: Noch nicht!

Was fehlt Ihnen denn noch?

Vitali: Es ist die größte Herausforderung, etwas zu machen, was vorher noch keiner geschafft hat. Damals haben wir von der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen geträumt – das hatte vor Wladimir noch kein Russe oder Ukrainer im Superschwergewicht geschafft. Danach haben wir geträumt, dass wir Weltmeister im Schwergewicht werden und danach wollten wir beide gleichzeitig Weltmeister sein. Jetzt wollen wir alle Weltmeistertitel, die möglich sind, in unserer Familie haben! Das hat noch keiner geschafft. Das ist eine riesige Motivation. Und ohne Träume ist das Leben extrem langweilig.

Sie beide dürften auch die einzigen promovierten Profiboxer sein. Haben Sie sich nach dem Guttenberg-Fall gefragt, ob Sie noch einmal einige Quellen überprüfen müssen?

Wladimir: Nach dem Fall Guttenberg hat wohl jeder, der einen Doktortitel hat, nachgedacht, was wohl die anderen über einen denken. Bei mir ist das Thema „Pädagogische Kontrolle bei Nachwuchssportlern“, bei Vitali ist es die Talentförderung. Was wir gemacht haben, basiert auf eigenen Erfahrungen im Sport, wissenschaftlich beschrieben und bewiesen. Da kann man nicht schummeln.
Vitali: Ich habe versucht, meine eigene Erfahrung auf eine wissenschaftliche Grundlage zu bringen. Und das ist sehr interessant. Ich habe nach der Uni mit der Doktorarbeit angefangen. Wladimir war so beeindruckt, dass er kurz darauf auch ein Thema fand, über das er schreiben wollte. Da war es wieder, das Wettkampfgefühl. (lacht) Wir sind Pädagogen in unserem Beruf, haben viel mit Menschen, mit Kindern und eben mit Sport zu tun. Aber wir sind beide bereit, unsere Doktorarbeiten jederzeit zu präsentieren, so wie wir es ja auch schon an der Bundeswehruniversität in Hamburg und im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn getan haben.

Ihre Eltern sind eine wichtige Konstante in Ihrem Leben. Wie ist es mit Frauen – haben die es schwer, in Ihrem Leben Platz zu finden? Ist Ihr Universum eine Männerwelt, zu der Frauen kaum Zugang bekommen?

Vitali: Meine Frau ist bei jedem Kampf dabei. Normalerweise ist es eine Belastung für mich, wenn Natalia dabei ist. Aber wenn ich ihr keine Karte besorge, kauft sie sich selbst eine, also habe ich keine andere Wahl.

Wladimir: Frauen leben von Emotionen, Männer von klarer Berechnung. Deswegen stört das manchmal, wenn man zusätzlich Frauen um sich hat. Das klingt zwar machomäßig, aber... Die damit verbundenen Emotionen wären für mich eine zu große psychische Belastung.


In dieser Doku sieht man Sie von der ganz menschlichen Seite, und Sie lassen größtmögliche Verletzlichkeit zu. Im Ring würde man sagen: Sie geben Ihre Deckung völlig auf. Wie kommt es, dass Sie zu so viel Offenheit bereit waren?

Wladimir: Ich glaube, das kommt mit dem Alter. Man wird offener, sensibler und hat keine Angst, das zu sagen und zu dem zu stehen, was man denkt. Wie das dann von außen empfangen wird, ist eine ganz andere Sache. Wichtig ist, dass man sich selbst wohlfühlt mit seiner Entscheidung und Aussage. Sich das zu erlauben, ist motivierend.

Vitali: Wir sind ja alle Fans des Kinos, ich kenne niemanden, der nicht gern Filme sieht. Kino ist die zweite, ideelle Welt, voller Emotionen und Träume. Unser Film vereint Elemente von Thriller, Action und Drama. Man sieht, dass das Leben eine Achterbahn ist. Erfolg hat man nur, wenn man die Kraft findet weiterzukämpfen, selbst wenn man am Boden liegt. Der französische Regisseur Claude Lelouch hat einmal gesagt: „Boxen ist eine der härtesten Sportarten, aber es ähnelt dem Leben am meisten.“

Vitali und Wladimir Klitschko sind 39 und 35 Jahre alt und selbst im Boxsport ein Phänomen. Beide wurden Weltmeister im Schwergewicht, beide studierten Sport (Wladimir auch Philosophie),Vitali engagiert sich in der Ukraine auch politisch.

Familie: Vitali ist verheiratet und hat drei Kinder. Wladimir hat sich kürzlich von US-Schauspielerin Hayden Panettiere getrennt, weil die Fernbeziehung zu schwierig wurde.

Film: Regisseur Sebastian Denhardt hat die in Deutschland lebenden Brüder zwei Jahre mit der Kamera begleitet. „Klitschko“ läuft ab 17. Juni im Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2011)

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