Teenager mit Tourettesyndrom als Kinokomödie

Teenager Tourettesyndrom Kinokomoedie
Teenager Tourettesyndrom Kinokomoedie(c) Einhorn Film
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Andi Rogenhagens deutsches Lustspiel "Ein Tick anders" besticht durch Wort- und dramaturgischen Witz. Sympathisch, surrealer Film, der Hollywood-Konkurrenz wie Rainman nicht scheuen muss. Ab Freitag im Kino.

Die 17-jährige Eva Stumpf leidet am Tourettesyndrom, 1885 erstmals beschrieben vom französischen Neurologen und Rechtsmediziner Georges Gilles de la Tourette, dessen Vorlesungen auch Sigmund Freud besuchte. Die Opfer dieser Krankheit stoßen unkontrolliert Schimpfworte aus.
Als Evas Vater seinen Job als Autoverkäufer verliert und sein Kredit gekündigt wird, muss die Familie nach Berlin umziehen, eine Katastrophe für Eva. Mit seinem seltsamen Onkel Bernie entwickelt das Mädchen einen schrägen Plan, wie Geld aufzutreiben wäre. Eine pädagogische Story für junge Erwachsene, wie man mit Behinderung zurechtkommt, könnte "Ein Tick anders" von Andi Rogenhagen sein. Doch es ist anders gekommen: Der Film besticht durch Wort- und dramaturgischen Witz.

Die Welt, in der Eva lebt, leben muss, verdient „Schimpf“, denn sie ist absolut absurd: Die geliebte Oma zündet Dynamitpakete und ballert auf Playmobil-Figuren; Evas Mutter (Victoria Trautmannsdorff) ist kaufsüchtig und lässt sich jeden Esoterik-Schmarren andrehen, in der Hoffnung, dass Kristalle oder Gele der Tochter helfen, dabei mahnt die passiv-aggressive Mama ständig kultivierte Ausdrucksweise ein; Evas Vater (Waldemar Kobus), ein notorischer Unglückswurm, weint sich ausgerechnet bei seiner ohnehin schon mit reichlich Problemen beladenen Tochter aus. Nachdem er seinen Job verloren hat, geht er noch immer jeden Morgen aus dem Haus, mit dem Satz: „Ich muss zur Arbeit“ – und verkriecht sich im Wald.

Schimpfworte wie „Pilzpenis“

Onkel Bernie (Stefan Kurt) ist ein Kleinkrimineller, der von einer Karriere als Musiker träumt; und Bankdirektor Kühne (Falk Rockstroh, vom Burgtheater bekannt) ist ein Gangster. Es gibt eine gewisse Vorhersehbarkeit bei dem heute, nicht nur im Kabarett, üblichen Gegen-den-Strich-Bürsten von Geschichten, mit der Zeit offenbart sich Routine. "Ein Tick anders" schafft es aber in seinen Wendungen und Dialogen immer wieder zu überraschen, zu amüsieren und zu berühren. „Sie dürfen ruhig lachen“, sagt Eva zu dem Reifenhändler, bei dem sie vergebens einen Job sucht. Natürlich zieht der Film seine Komik auch aus ihren seltsamen Schimpfworten wie „Pilzpenis“ oder „Arschlicht“. Aber er erzählt auch viel über eine Krankheit, die oft missverstanden wird, weil ihre Opfer oft außer ihrem „Tick“ völlig normal sind. Mit wie viel Falschheit geht diese vordergründig so tolerante und angeblich so bemühte Gesellschaft überhaupt mit Behinderung um, schon mit dem Anschein einer Behinderung?

Rogenhagens Film ist auch eine Satire. Die Schweizerin Jasna Fritzi Bauer entzückt als Eva, auch das übrige Ensemble ist sehr gut, vor allem Renate Delfs als Oma, eine wunderbare „unwürdige Greisin“, die am Ende ihre Enkelin aus der Patsche zieht. Das Finale ist zwar mäßig wahrscheinlich, aber tröstlich, womit gewiss auch ein Zweck dieses sympathischen, surrealen Films erfüllt ist, der mächtige Hollywood-Konkurrenz wie "Rainman" (mit Dustin Hoffman) oder "I am Sam" (mit Sean Penn) nicht scheuen muss, ja sie teilweise an Frische übertrifft.

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