Hollywoods Mission: Vorhersehbar

Hollywoods Mission Vorhersehbar
Hollywoods Mission Vorhersehbar(c) AP
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Nächste Woche starten das (zufällige) Comeback von John Carpenter, "The Ward", und der vierte "Mission: Impossible"-Film mit Tom Cruise. Ideal zum Vergleich: Hollywood hat ein Genrekino-Problem.

Brad Pitt dreht gerade ,World War Z‘ – im Prinzip ein Zombiefilm, der aber 200 Millionen Dollar kostet“, sagt Regisseur John Landis, berühmt für Filme wie „Blues Brothers“, in einem Interview über Hollywoods Blockbuster-Genrefilme von heute. „Tentpole movies“ ist der Branchenbegriff: Erfolgsträchtige Produktionen als Zeltstange („tentpole“), an der die Jahresproduktion eines Studios aufgerichtet werden soll.

Für diese Filme wird das meiste Geld reserviert – zum Produktionsbudget kommt fast genau so viel für Marketing. Und um den Erfolg zu sichern, so Landis weiter, regiert der kleinste gemeinsame Nenner: „Tentpole movies sind meistens blöd. Oft werden ,Star Wars‘ und ,Der weiße Hai‘ als Anfang vom Ende genannt, weil sie B-Filme mit A-Budgets waren. Heute sind es Sachen wie die ,Transformers‘-Filme: Früher hätte man so etwas heruntergekurbelt, jetzt wird unfassbar viel Geld dafür verschwendet.“ Der Rest wird auf kleinere Filme verteilt, die auch Marketingvorgaben folgen: Die großen Filmstudios sind in Riesenkonzernen aufgegangen (in den 1980ern gehörte Columbia Pictures der Coca Cola Company, heute Sony). Für Quartalsbilanzen und Aktionärsdividenden wird formelhaft vom Fließband produziert: Fortsetzungen und Remakes, dazu romantische Komödien für Frauen und unkorrekte Bubenlustspiele sowie Action- und Horrorfilme für männliche Jugendliche, die Hauptzielgruppe.

Entsteht doch Originelles, wirkt das fast wie ein Versehen, aber es kann in allen Bereichen passieren: Das zeigten heuer keineswegs makellose, aber interessante Filme von der Frauen-Comedy „Bridesmaids“ über den Blockbuster „Planet der Affen: Prevolution“ bis zur Billighorror-Fortsetzung „Paranormal Activity 3“. Bei Letzterer vielleicht nur eine formale Zwangshandlung: dem Prinzip dieser Serie – Filme nur aus „echt“ wirkenden Überwachungskamerabildern – etwas Neues abzugewinnen. Was an eine traditionelle Funktion von Hollywoods B-Genrefilmen erinnert: als Experimentierfeld und Entdeckungsraum für Talente zu dienen.


Nur nichts Unkonventionelles! Interesse am Experiment gibt es höchstens bei „Cross-over-Events“, wie in Richtung Videospiel. Eigenständiges filmisches Denken hingegen ist offenbar suspekt. Das lernen viele junge europäische Regisseure, die nach Übersee kommen und dann an ganz anderen Produktionsbedingungen scheitern – oder an Studioauflagen, die alle unkonventionellen Ansätze wieder eliminieren. Noch härter trifft es aber eine große Generation etablierter Genrefilmer. Statt diesen Veteranen Kontrolle über Filmprojekte zuzugestehen, holen sich die Studios lieber Nachwuchs aus der Musikvideoszene oder mit Werbeclip-Erfahrung: Die Resultate sehen dann ja auch oft wie Werbespots aus – und alles Wesentliche ist im Trailer.

Steven Spielberg, Martin Scorsese und Clint Eastwood können noch Filme nach klassischen Inszenierungsprinzipien durchsetzen (statt bloß Zielgruppenrecherche umzusetzen): ein Regie-Triumvirat als letzte Erben der Traumfabrik-Tradition. Alle debütierten in der Ära von „New Hollywood“, das zwischen 1967 und 1975 einen Aufbruch mit zeitgemäßen Genre-Revisionen und künstlerischen Ambitionen versprach, bevor das Prinzip „Star Wars“ eine völlig andere Entwicklung einleitete. Viele andere große Namen der Ära – etwa John Carpenter, Joe Dante, Brian De Palma und John Landis – sind noch aktiv, bekommen aber in Hollywood keine Projekte mehr finanziert. Landis („American Werewolf“) drehte Dokumentationen und fürs TV, bis er 2010 die Grabräuber-Farce „Burke & Hare“ machen durfte – in England. Der nächste Film entsteht in Frankreich.


Zermürbende Produktionsweise. In Frankreich wurden auch die letzten Krimis von Brian De Palma („Scarface“) koproduziert, seit seinem Digital-Experiment „Redacted“ von 2007 herrscht Funkstille. Auch„Gremlins“-Schöpfer Joe Dante ist von Hollywoods Produktionsweise zermürbt: „Früher kam man zu mir und fragte, ob ich bei einem Stoff Regie führen will. Wenn ich Ja sagte, legten sie das Geld auf den Tisch, und wir begannen zu drehen. Heute kommt mein Name in das Paket und sie gehen auf Geldsuche. Also verfolge ich mehrere Projekte gleichzeitig, von denen eines kurzfristig entstehen kann, wenn die rechten Schauspieler im rechten Moment zusagen oder es Steuervergünstigungen gibt.“ Meistens wird aber nichts daraus: „Besetzung und Drehorte stehen schon fest, aber dann wird der Geldhahn einfach abgedreht. Wenn man die großen Lücken in vielen Filmografien sieht, fragt man sich vielleicht: War der auf Entzug? Nein, es dauert so lange, eine Produktion zu verwirklichen!“

Die unabhängige Alternative bringt andere Probleme: Nach längerer Kinopause realisierte Dante 2008 die großartige 3-D-Kinderfantasy „The Hole“ als Independent-Projekt. Einer der wenigen Filme, in der die dritte Dimension etwas bringt – was die Zuseher nie erfuhren: Zwischen den Blockbuchungen hatten die US-Kinoketten keinen Platz für Unabhängige. Und Hollywood keinen Platz für Ideen: „Die Studios wollen nur Sachen machen, die das Publikum schon kennt, nichts Riskantes oder Neues“, erklärt Dante den Frust.

Die Ausnahme zur Regel kommt mit „The Ward“, John Carpenters erstem Kinofilm seit zehn Jahren. Dass der als „John Carpenter's The Ward“ vertrieben wurde, ist bitter ironisch: Bekommen hat der Thriller-Altmeister den Regiejob nämlich nur auf Wunsch der jungen Hauptdarstellerin Amber Heard. Aber Carpenter ist einiges gewohnt: „In Deutschland bezeichnet man mich als einen Filmemacher, in England als einen Genre-Regisseur und in den Staaten bin ich ein Gammler“, sagte er schon vor dem Karriereknick mit dem (unterschätzten) Science-Fiction-Flop „Ghosts of Mars“ 2001. Aber die Faustregel „Du bist nur so viel wert wie dein letzter Film“ erklärt die Arbeitslosigkeit der virtuosen Veteranen nicht: Abgesehen von seinem Horror-Hit „Halloween“ 1978 war Carpenter nie Kassengarant. Legendäre Filme galten einst als Misserfolge – wie „Das Ding aus einer anderen Welt“ (1982), das jedoch heuer in Hollywood neu angegangen wurde.

„The Ward“ ist nicht ganz der Stoff, aus dem Legenden sind: Allrounder Carpenter durfte weder am Drehbuch mitschreiben noch coole Synthesizer-Kompositionen beisteuern. Aber er demonstriert die Schlagkräftigkeit des B-Film-Prinzips „Weniger ist mehr“. Ein traumatisiertes Mädchen (Amber Heard) kommt 1966 in eine Anstalt, deren junge Insassinnen einem Mörder zum Opfer fallen. Ein typischer Carpenter-Ausnahmezustand: Spannung und Schrecken werden ebenso brillant in beengtem Rahmen erzeugt wie knappe, individuelle Charakterisierungen. Die persönliche Handschrift ist unverkennbar, doch war Carpenter wegen fehlender Freiheiten unzufrieden. Statt neuer Carpenter-Filme kommen also mehr Remakes von alten: wie des Anti-Reaganomics-Klassikers „Sie leben!“ von 1987. „Ich glaube nicht, dass die Neuauflage so politisch wird wie meine Version“, dazu Carpenter trocken.


Politisch korrekter Bond. Dazu passt ein zweiter Kinostart nächste Woche: „Mission: Impossible – Phantom Protokoll“, der vierte Film der Agentenserie mit Tom Cruise (und wohl der beste seit dem Einstand, den noch De Palma inszenierte). Hier regiert das „Mehr ist weniger“-Prinzip, wenn B-Filme mit A-Budgets zum Blockbuster ausgewalzt werden. Vorbild ist eindeutig Bond, Cruise als Superagent Ethan Hunt ist die politisch korrekte 007-Version: treu statt Playboy. Der Film ist aber eher wie die vorhersehbaren, überlangen Bond-Abenteuer der 1990er. Ein Schurke will den Atomkrieg auslösen und klaut die Geheimcodes der Russen (samt Kreml-Explosion). Trotz Gegenwartshandlung eine Geschichte wie im Kalten Krieg – kurios, aber ein guter Beleg für Carpenters Einschätzung vom heutigen Verhältnis zur Politik in Hollywood-Entertainments: möglichst unverbindlich.

Die Handlung verläuft monoton: Agent Hunt erklärt dem Team die anstehende Aufgabe, sie wird spektakulär durchgeführt, kurze Nachbesprechung – nächster Job. Bis (nach 135 Minuten) offenbar genug gesprengt wurde, um es eine fertige Geschichte zu nennen. Immerhin inszenierte kein Schnellschnitt-Pfuscher, sondern Animationsspezialist Brad Bird („The Incredibles“, „Ratatouille“): Der zeigt Selbstironie und das Auge eines erfahrenen Storyboard-Konstrukteurs bei der Action. Die Achillesferse: Diese vierte „Mission: Impossible“ wirkt überhaupt ein wenig wie ein Animationsfilm, was Höhenangstszenen wie Cruises Herumturnen auf dem höchsten Turm der Welt nicht unbedingt spannender macht. Emblematisch ist eine Szene mit einem Einsatz im Sandsturm: eine gute Idee, aber die Naturgewalt geht in der offensichtlich digitalen Umsetzung verloren. Auch da wäre noch immer von alten Genre-Königen zu lernen: „Computergrafik-Effekte sind ein großartiges Werkzeug“, hat Carpenter zu Protokoll gegeben, „aber eben nur ein Werkzeug. Sie dürfen nicht zum Selbstzweck werden.“

„Mission: Impossible – Phantom Protokoll“, der vierte Film der Kino-Agentenserie mit Tom Cruise, startet am 16. Dezember österreichweit. Regie: Brad Bird („The Incredibles“); weitere Agentendarsteller: Jeremy Renner, Paula Patton und Simon Pegg.

„John Carpenter's The Ward“ wurde vom Constantin-Verleih nicht gestartet. Nun zeigt der Stadtkino-Verleih John Carpenters neuen Thriller ab 16. 12. exklusiv im Filmhaus am Spittelberg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2011)

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