"Last Renaissance Man" Michael Snow - Ausstellung und Filmschau

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Der Kanadier zählt in vielen Sparten zu den wichtigsten Künstlern der letzten Dekaden. Ein Gespräch über religiöse Anwandlungen und Zeitsparen in der Internet-Ära.

Beim kanadischen Multitalent Michael Snow stellt sich nicht die Frage, was er schon gemacht hat – eher, was er noch nicht gemacht hat. Der 83-jährige kanadische Künstler hat in seiner Karriere mit Malerei, Skulpturen, Filmen, Fotos, Holografie, Büchern und Musik für internationales Aufsehen gesorgt. Im englischen Sprachraum apostrophiert man ihn oft als „Last Renaissance Man“ – ein eingebürgerter Begriff für einen vielseitig interessierten und talentierten Mann der Kunst und Wissenschaft.

Dieser Tage gastiert Snow in Wien zu seiner ersten österreichischen Einzelausstellung in der Sezession, parallel präsentiert er im Wiener Filmmuseum einige seiner Kinoarbeiten: Als bedeutendster lebender Avantgarde-Regisseur ist Snow vor allem für den Film Wavelength (1967) berühmt. Dieser lange Vorwärtszoom der Kamera durch ein New Yorker Loft ist ein schlagendes Beispiel für Snows öfter angewandte Methode, eine filmische Technik bis zur Grenzerfahrung auszureizen. Der Zoom lässt das Filmbild immer flacher wirken: Aus der perspektivischen Einstellung auf die gegenüberliegende Wand zoomt die Kamera ein dort hängendes Bild von Meereswellen heran.

Metaphysik und Wortspielerei

Ein Kommentar zur kunstgeschichtlichen Entwicklung? Von der Zentralperspektive zur Renaissance-Malerei zum zweidimensionalen fotografischen Bild. Aber Snow-Filme sind vieldeutiger: Mit Wavelength hätte er seine „religiösen Anwandlungen“ abgearbeitet, sagte er einmal. „Ach das!“, meint Snow im „Presse“-Interview: „Wissen Sie, sonst habe ich keine religiösen Anwandlungen, aber in dem Film gibt es kosmische oder metaphysische Ideen. Denken Sie nur an die Wellen auf dem Foto am Schluss: die sichtbaren Auswirkungen unsichtbarer Kräfte. Das lässt sich doch auf alles übertragen: Hier sind wir und wissen nicht warum. Manche Leute haben diesen Grund dafür angeführt, und andere jenen. Ich glaube an keinen dieser Gründe, aber es scheint mir begründet zu glauben, dass es einen Grund gibt.“ Verschmitzt lacht Snow über seine Wortspielerei: Humor ist auch ein Schlüsselelement seiner Kunst. Das Foto der Welle ist ebenso als Pointe begreifbar: das visuelle Gegenstück zum ständig ansteigenden Ton einer Sinuswelle, die den Zoom begleitet.

Eigentlich hat Snow als Jazzmusiker begonnen: „Wie bei der Malerei fing ich damit an, um etwas zu schaffen, wie die Bilder und Kompositionen, die mich stark bewegten. Zum Film kam ich dagegen zufällig – Mitte der 1950er engagierte mich ein Mann für eine Animationsfirma, weil er meine Zeichnungen mochte: Georges Dunning, der später den Beatles-Film Yellow Submarinemachte. Er fragte, warum meine Bilder so filmisch sind: Ich musste zugeben, dass mich Kino nicht interessierte! Das kam erst durch die Erfahrungen aus erster Hand.“

Die Installation Piano Sculpture in der Secessionsschau demonstriert Snows vielschichtige Verschränkung von Kunstformen: Auf jeder Wand eines Raums sind Snows Hände beim Pianospiel zu sehen – dasselbe Stück, viermal anders improvisiert. Die Variationen im quadrophonischen Klang verblüffen: Kaum konzentriert man sich auf ein Bild, lenken Töne einer anderen Interpretation ab, und man dreht sich unwillkürlich um. „Eine skulpturale Idee“, sagt Snow. „Darum war mir wichtig, dass die Gesten meiner Hände am Klavier sich darauf beziehen, wie etwas gemacht wird: die Bewegungen von Sägen, Abschleifen, Feilen, Hämmern!“

Touren mit Freejazz-Ensembles

Dass er in Wien auch ein Solokonzert geben soll, erfüllt ihn dagegen mit Unbehagen: „Die historische Konkurrenz ist zu groß! Und Soloauftritte sind sehr anstrengend wegen der hohen Konzentration. Aber mit Freejazz-Ensembles toure ich heute noch ständig.“

Aktuelle Entwicklungen verfolgt er mit ungebrochenem Interesse: „Großartig, was im Internet möglich ist: Du stellst etwas online, zwei Tage später haben es Millionen gesehen. Auch Filme von mir gibt es auf YouTube: Wavelength sieht da gräßlich aus, und man hat wenig davon. Der Film ist für die Kinoprojektion gemacht, wie alle meine Kunst für ein bestimmtes Medium entwickelt ist. Aber letztlich dachte ich: Wenn heute jeder Filme ändern und in aller Unschuld kannibalisieren kann, mache ich es lieber selbst! Also habe ich eine DVD-Version entwickelt, die man auch auf Computerbildschirmen ansehen kann. Das tun doch heute alle – ich auch! Ich bin mitschuldig! Darum gibt es die Kurzfassung: WVLNT – Wavelength for People Who Don't Have the Time. Ursprünglich 45 Minuten, jetzt nur mehr 15!“, lacht Snow: „Da sparen sie sich eine halbe Stunde.“

Snow in Wien

Michael Snow (*1929, Toronto) ist als Künstler vieler Sparten, von Musik über Film bis Malerei, international gefeiert. Besonders einflussreich sind seine Experimentalfilme wie „Wavelength“.

Die Secession stellt bis 15. April eine Auswahl von „Recent Works“ aus: Videoinstallationen und fotografische Arbeiten. Di–So, 10–18 Uhr; Friedrichstr. 12, 1010 Wien, www.secession.at

Im Österreichischen Filmmuseum wird Snow parallel am 24., 25. und 27.2. eine Auswahl seiner Filme präsentieren. Augustinerstr. 1, 1010; www.filmmuseum.at [Filmmuseum]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2012)

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