Eiserne Meryl Streep: Thatcher spaltet England

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"Presse"-Premiere. Phyllida Lloyds Filmbiografie nähert sich Margaret Thatcher menschlich statt politisch. Und ist teils überraschend komisch. Meryl Streep brilliert jedenfalls. Der Film läuft ab 2. März im Kino.

Der Milchkauf wird zur Herausforderung für die tatterige alte Dame mit Kopftuch: Schon die Ethno-Popmusik im Laden an der Ecke scheint ihr sichtlich Unbehagen zu bereiten und dann wird sie auch noch von einem ins Handy meckernden jungen Mann im Anzug beiseitegedrängt. Für diese Lady ist das eiserne Zeitalter entschieden vorbei: Margaret Thatcher ist ein Pflegefall mit Alzheimer.

Der satirische Unterton dieses Filmbeginns ist unverkennbar: Die eiserne Lady von Phyllida Lloyd beschwört, jedenfalls beim britischen Publikum, sofort einen der ersten Schmähnamen für die viel gehasste Politikerin. Weil sie in den 1970ern die Gratisschulmilch abgeschafft hatte, wurde Thatcher fortan als „Milchdiebin“ tituliert. Und ist der rücksichtslose Anzugträger nicht der zeitgemäße Nachwuchs von Thatchers antisozialer Politik? Die Gegenwärtigkeit des Gedankens bleibt aber so einsam in diesem Film wie die Statur Thatchers in der Geschichte britischer Staatenlenker, in die sie als erste Frau einging: The Iron Lady rollt ihre Biografie aus einer ungewöhnlichen Rückblendensituation auf. Nämlich aus der Perspektive einer die meiste Zeit dementen Margaret Thatcher. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt ist, die Gegenwart ihres verstorbenen Gatten zu imaginieren und etwaige Anwesende durch ihre Dialoge mit dem Fantasie-Ehemann zu verstören.

Ein hauptsächlich halluzinierter Gatte

Das Manöver von Drehbuchautorin Abi Morgan ist gleichermaßen geistreich wie trickbetrügerisch: Denn durch die subjektiv verschobene Färbung wird der Stoff zugleich vermenschlicht und entpolitisiert. Was Thatcher wie in Fieberschüben dem Vergessen entringt, ist notwendigerweise einigermaßen nahe an den Fakten, lässt aber nur erahnen, wie die radikale Privatisierungsfreundin und Gewerkschaftsfeindin einst die englische Gesellschaft gespaltet hat: Das Land gierte der Premiere von The Iron Lady entgegen, und zum Filmstart sahen prompt konservative wie sozialdemokratische Lager ihre Vorurteile bestätigt. Nur der Alzheimer-Ansatz sorgte bei den Tories für Unbill: Dem werde entschieden zu viel Raum gegeben, fasste Premier David Cameron in einem Gastspiel als Filmkritiker die Parteilinie zusammen. Allein die 86-jährige Lady selbst gab sich gewohnt eisern bis olympisch: Sie habe kein Interesse, diesen Film zu sehen, wurde verlautbart.

Vielleicht ist ihr klar, dass es der Triumph einer anderen Ikone ist: Meryl Streep liefert weniger eine Thatcher-Verkörperung als dass sie die Politikerin (mit Hilfe maskenbildnerischer Kunstfertigkeit und der Kollegin Alexandra Roach als noch nicht so eiserner Lady in jungen Jahren) lebensnah von Grund auf wiedererfindet. Der Virtuosenakt hat Streep ihre mittlerweile 17. Oscar-Nominierung eingebracht, sie gilt als Mitfavoritin. Wobei Jim Broadbent als ihr hauptsächlich halluzinierter Gatte an der Erzeugung menschlichen Interesses entscheidend mitbeteiligt ist: Wenn Thatcher in einem Moment plötzlicher Klarheit alle Haushaltsgeräte anwirft, um seinen Geist zu bannen, ist das als emotionaler Höhepunkt des Films orchestriert. Wenn der Ehemann ihre Lektüre von Ken Folletts „Die Nadel“ empfindlich unterbricht, indem er ihr die Auflösung verrät, wird es gegensätzlich als schön britisch-trockene Comedy-Pointe serviert.

The Iron Lady hätte eine große Satire werden können, wäre man weiter in die Richtung gegangen – vielleicht im Geiste des vorhergehenden Kassenerfolgs von Streep und Regisseurin Lloyd mit dem ABBA-Musical Mamma Mia: Wie wäre es mit einem „Waterloo“-Medley zu Thatchers Demontage durch die eigene Partei gewesen? Das hätte in England allerdings wohl für einen echten Aufruhr gesorgt, und so weit wollte man auch sichtlich doch nicht gehen.

Powerfrau-Image: Von Männern optimiert

Denn politisch ist der Film nur insofern, als seine Hauptfigur eine Politikerin ist. Vielmehr eilt man im – schon aus Zeitrahmengründen rasanten – Entertainment-Format an den Widersprüchen vorbei, die kurz faszinierend aufblitzen, ohne wirklich groß thematisiert zu werden: Eben wettert Thatcher noch über die untragbaren Haushaltsausgaben und setzt drastische Maßnahmen, schon bricht sie den auch nicht so billigen Falkland-Krieg vom Zaun. Und die feministische Lesart, die sonst nahegelegt wird, wird mit einer exzellenten Komödieneinlage unterminiert: Nachdem sich die männlichen Granden auf Thatcher als weibliche Kandidatin geeinigt haben, muss sie ihr Powerfrau-Image auf Anweisung der Parteispitze optimieren lassen. Die Kleidung der Kolonialwarentochter kriegt einen royalen Anstrich, und die gefürchtete kreischende Stimme wird in einem Sprachlehrgang-Kabinettstück abgearbeitet. Eigentlich enthält diese Szene den ganzen Film.

Der Film und die Debatte um ihn

„Die eiserne Lady“ ist der zweite Film von Phyllida Lloyd („Mamma Mia“) und für zwei Oscars im Rennen: beste Hauptdarstellerin (Meryl Streep) und bestes Make-up. Als eine der wichtigsten Quellen des Films nannten Lloyd und Drehbuchautorin Abi Morgan die Memoiren von Thatchers Tochter Carol.

Kritische Kommentare kamen aber u.a. von Carol Thatcher selbst: „Eine linke Fantasie.“ Der konservative Abgeordnete Rob Wilson forderte gar eine Parlamentsdiskussion über „Respekt, gute Manieren und guten Geschmack“. Einig sind sich alle Lager nur über Streeps Darstellung: „Oscarwürdig.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2012)

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