DDR-Film: „Der Wald war abhörfreier Raum“

DDRFilm Wald abhoerfreier Raum
DDRFilm Wald abhoerfreier Raum(c) Stadtkino (Christian Schulz)
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Der deutsche Regisseur Christian Petzold im Gespräch über sein bei der Berlinale prämiertes DDR-Drama „Barbara“ ,dessen autobiografische Wurzeln und seine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Nina Hoss.

„Die Presse": Ihr Film „Barbara" erzählt von einer Ärztin in der DDR im Jahr 1980, die aufs Land strafversetzt wird, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hat. Wieso haben Sie Ihren ersten historischen Film über die DDR gedreht?

Christian Petzold: Das hat autobiografische Gründe. Meine Eltern flohen Ende der 50er aus dem Osten, ich kam im Westen zur Welt. Mein Vater wollte nach Amerika und meine Mutter nach Aix-en-Provence, weil sie die Impressionisten so toll fand. Sie schafften es aber nur bis Düsseldorf. Und irgendwie hatten sie Heimweh. Wir, die drei Söhne, verbrachten alle Sommerferien im Osten, weil meine Eltern bei jeder Gelegenheit hinfuhren. Ich habe das nicht verstanden, weil sie immer über die DDR geflucht haben. Als ich 17, 18 Jahre alt war, dachte ich: Sie fahren hin, weil sie dort ihre Jugend verbracht haben. Sie waren auf der Suche nach ihrer „Schichte" und wollten sie nicht loslassen. Das ging in „Barbara" ein. Nach 1989 sind meine Eltern nicht mehr in den Osten zurückgekehrt. Die sind nicht nur in das Land Ostdeutschland gefahren, sondern auch in das System DDR. Auch das ist Teil dieser Jugend gewesen.


Wie passt „Barbara" in die aktuelle Krise?

Ich habe mir überlegt, wieso ich diesen Film erst 2011 gedreht habe und nicht 2004, als ich die Idee hatte. Warum ich jetzt erst einen „sinnlichen" Zugang zu dem Material bekommen habe, hängt sicher damit zusammen, dass auch der Kapitalismus gerade in Auflösung ist - ein System in Auflösung wie die DDR 1980 auch. Vielleicht kann ich die DDR 1980 besser verstehen, weil wir in einer gefühlsmäßig vergleichbaren Situation sind.


Filme über die DDR - da schwingt oft Ostalgie mit. War es schwierig, Sentimentalitäten und dem Retrozeug zu entkommen?

Das ist schwer, weil es bietet sich an. Wenn man eine Straße präpariert und man sieht komplett eingerichtete „Konsum"-Läden, original mit Schaufensterdekoration von 1980 bestückt, lacht man sich tot, weil es ein bisschen aussieht wie ein Märchenwald. Ich finde es aber perfide, wenn wir so tun, als ob wir so ein tolles Leben führen. Bei Retro saugt man entweder einen Mythos aus oder man macht sich lustig. Das sind beides Positionen, die ich schrecklich finde. Dem zu entgehen war von vornherein klar.


Der von Ronald Zehrfeld gespielte Arzt André hat sich mit den Verhältnissen arrangiert und ist nicht unglücklich in der Klinik im ostdeutschen Kaff.

In den Provinzen sind Freiheiten möglich, indem man „Privatblasen" bildet und nicht mehr auf der makropolitschen Ebene kämpft, sondern in der mikropolitischen Ebene anständig zu leben versucht. Das ist zwar eine paradoxe Situation, aber nur paradoxe Situationen sind interessant. Es geht die ganze Zeit um zwei Sachen: Ich bin Arzt und habe einen Eid abgelegt - ich helfe. Ich bin aber auch ein politischer Mensch - ich verachte. Das muss man täglich mit sich verhandeln, es gibt keine Lösung dafür.


„Barbara" ist bereits Ihr fünfter Film mit Nina Hoss. Ist sie Ihre Muse?

Das Wort „Muse" klingt immer halb nackt und österreichisch. Halb nackt ist sie nicht und österreichisch auch nicht. Muse ist falsch, da ist der Mann der Künstler und die Frau das Projektionsfeld. Sie ist vielleicht eine Gefährtin. Wir haben etwas zu besprechen. Aber wenn sie spielt und ich schreibe, haben wir nichts miteinander zu tun und sehen uns auch nicht.


Schreiben Sie so eine Rolle mit Hoss im Kopf?

Christian Petzold
Christian Petzold(c) APA/HERBERT PFARRHOFER

Bei „Barbara" ja. Das führte aber dazu, dass Barbara ein blinder Fleck wurde. Weil ich wusste, dass Nina sie spielt, habe ich Barbara gar nicht mehr beschrieben, nur noch ihre Umgebung. Mir war klar: Mit dem Material wird Nina den blinden Fleck selbst füllen. Da braucht sie meine Projektion nicht.

Eine wichtige Szene spielt im Wald. Auch in einigen anderen Filmen von Ihnen ist der Wald zentral. Man sagt, die Deutschen hätten ein besonderes Verhältnis zum Wald: Er gilt als Ort des Lebens und der geistigen Entfaltung.

Bei einer Veranstaltung sah ich ein Foto aus den „Nibelungen" von Fritz Lang - dieser wahnsinnige Säulenwald, in dem Siegfried auf einem Pferd sitzt. Da dachte ich: Der deutsche Wald ist doch irgendwie ein Tempel, ein Ort, in dem man mit den Göttern kommuniziert. Ich war in den Urlauben im Osten vom Thüringer Wald umgeben. Draußen ist die Zivilisation, aber im Wald spielt sich noch was ganz Originäres, Echtes, Ursprüngliches ab. Das hat mich immer fasziniert. Für mich gibt es nur zwei Bewegungen, wenn Menschen Probleme haben: Sie gehen entweder in den Wald oder ans Meer. In der DDR war der Wald der Ort, an dem man nicht überwacht worden ist, weil die Richtmikrofone nicht eindringen konnten. Deswegen habe ich hier den Wald drin - nicht als metaphsyischen, sondern als abhörfreien Raum.


Sie werden unter dem Label "Berliner Schule" geführt. Ist das ein Vorteil, weil es inzwischen zu einer Art Marke geworden ist?

Im ersten Moment fand ich das gar nicht so schlecht, um zu sagen: 'Es gibt mal was anderes'. Die Kraft und Eitelkeit in unserer Gruppe waren allerdings nicht groß genug, um daraus eine Bewegung entstehen zu lassen. Aber die Regisseurinnen und Regisseure, die unter diesem Label versammelt worden sind, haben miteinander gesprochen, Filme miteinander gekuckt, korrespondiert. Das war eine Entwicklung vor zehn, zwölf Jahren, von der ich heute noch zehre.

"Barbara" wird unter dem Titel "Liebesdrama" geführt, spielt aber in einem Klima der Verfolgung und des ständigen Misstrauens. Sehen Sie das als Liebesfilm?

Ja. Aber nur, weil Liebe etwas politisches ist. Mich selber hat der richtig ins Herz getroffen. Wir sehen zwei Menschen bei der Entwicklung von ihren Gefühlen und gleichzeitig bei der Angst davor zu. In dem Moment, in dem sie sich öffnen, machen sie sofort wieder zu. Und wir sind in diesem Moment dabei. Es ist nackt und rein und präsent und das hat mich richtig mitgenommen. Sie sind vielleicht nicht ein Paar, aber haben sich die Möglichkeit erarbeitet, lieben zu können - mehr kann man nicht verlangen.

Ihr nächstes Projekt spielt wieder vor einem historischem Hintergrund, diesmal unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.

Es geht um eine Auschwitz-Überlebende, die nach Berlin zurückgeht und ihr Leben zurückhaben will. Wieder mit dem identischen Team, mit Nina und Ronald Zehrfeld. Das wird ein anderer Film, weil ich etwas anderes probieren muss, 1945 muss man anders drehen als DDR 1980. Jeder Stoff verlangt eine eigene Form von Stil. Mehr will ich dazu noch nicht sagen.

Zur Person

Christian Petzold (1960 in Hilden geboren) ist einer der wichtigsten Regisseure Deutschlands. Bekannt wurde er 2000 durch sein Terrorismusdrama „Die innere Sicherheit“. Es folgte eine Reihe preisgekrönter Filme mit Nina Hoss, für „Barbara“ erhielt Petzold den Regiepreis der Berlinale 2012 (Bild). Kinostart: Freitag.

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