Ulrich Seidl: „Ich glaube, Liebe ist eine Gnade“

(c) Ulrich Seidl Film
  • Drucken

Ulrich Seidl über die Nominierung seines Films „Liebe“ für den Wettbewerb in Cannes, seine Uraufführung „Böse Buben/Fiese Männer“ und den Hang des Menschen zum Keller.

Die Presse: Sie haben, gemeinsam mit Michael Haneke, einen Sensationserfolg errungen: zwei österreichische Filme im offiziellen Wettbewerb von Cannes. Das gab es noch nie. Freuen Sie sich?

Ulrich Seidl: Wir können stolz sein auf diesen Doppelsieg für Österreich. Für mich persönlich ist das natürlich eine große Ehre. Als Filmregisseur kann einem nichts Besseres passieren, als dass man im Wettbewerb von Cannes seine Weltpremiere bekommt.

Ist das ein Zufall? Der österreichische Film scheint momentan erfolgreicher zu sein als der deutsche.

Das ist kein Zufall. Das ist schon lange so. Der österreichische Autorenfilm hat sich in den letzten zehn, 15 Jahren weltweit einen Namen gemacht.

Sie haben ja auch manche Frustrationen während Ihrer Karriere hinnehmen müssen. Ihre Filme wurden teils ziemlich angefeindet.

Stimmt. Wenn ich das nicht durchgestanden hätte, wäre ich nicht so weit gekommen. Die Anfeindungen haben schon in der Filmschule begonnen, das ist dann jahrelang so gegangen. Aber ich wurde auch sehr geliebt, die einen haben großartig gefunden, was ich mache, die anderen hätten mir am liebsten das Handwerk verboten. Mit „Hundstage“ kam vor etwa zehn Jahren die Wende.

Ihre Filme sind ja a prima vista nicht gerade aufbauend. Vielleicht mögen die Leute sie, gerade weil sie ein Gegenbild zu einer Wirklichkeit entwerfen, in der alles schön und in Ordnung sein muss.

Ich bin ganz sicher, dass meine Filme für sehr viele Zuschauer darum befriedigend sind, weil sie sie dazu bringen, sich tiefer mit etwas zu beschäftigen. Die Verstörung hat ja auch etwas sehr Positives: Ich werde verstört, das bewirkt in mir, dass ich mich mit gewissen Dingen auseinandersetze und dabei etwas über mich erfahre.

Sie sind Autor, Regisseur, haben sich mit Fotografie befasst. Was ist Ihre größte Gabe?

Dass ich, was ich erzählen will, auch visuell umsetzen kann. Dafür habe ich mir eine visuelle Handschrift erarbeitet, die sehr einzigartig ist und die es sonst nicht gibt.

Viele Filmemacher sind verbittert, weil das meiste Geld doch in Hollywood steckt – und in Blockbuster, Fantasy investiert wird. Wie sehen Sie das?

Das ist ein Teil der Filmindustrie. Das soll es auch geben. Was ich nicht so toll finde, ist, dass dieser Produktionszweig alles andere zum Schweigen bringt, dort ist das Geld, dort sind die Vertriebssysteme, das ist die Macht der Konzerne. Das ist wie eine riesige Supermarktkette, die es unmöglich macht, dass neben ihr andere Geschäfte existieren.

Aber es gibt doch sehr viele Autorenfilme...

Schon, aber sie haben es sehr, sehr schwer, denn der Platz ist begrenzt, Kapital und mediales Interesse werden von den Blockbustern abgesaugt. Die sogenannten Autorenfilme könnten viel mehr Publikum erreichen, wenn die Gewichtung ein wenig anders wäre.

Sie bringen bei den Wiener Festwochen eine Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen: „Böse Buben/Fiese Männer“ nach einem Buch von David Foster Wallace, „Kurze Interviews mit fiesen Männern“. Worum geht es da?

Um Männer und ihre Ansichten über Frauen, Beziehungen, Sexualität. Es geht um die Abgründe von Männern, ihre Ängste, um all das, was sie gegenüber Frauen wahrscheinlich so offen nicht aussprechen würden.

Fiese Männer, scheint mir, erleben eine Renaissance. Haben die Frauen genug von Softies und Hausmännern?

Ich kenne diese Idee nur aus den Medien. Ich habe mich immer mit Männerthemen beschäftigt, aber auch mit Frauenthemen.

Neigen Männer eher dazu als Frauen, pervers oder verrückt zu sein?

In den letzten Jahren sind viele Verbrechen durch die Presse gegangen, die Männer begangen haben. Ich habe mich natürlich gefragt: Gibt es das bei Frauen auch? Ich denke: Ja. Mehrheitlich sind an solchen Verbrechen Männer beteiligt, aber auch Frauen sind sozusagen Täter, vielleicht in einer anderen Form, sie neigen eher zu psychischer als zu äußerlicher Gewalt.

In der Aufführung spielen Keller eine wichtige Rolle, lese ich im Aviso. Hat sie etwas mit den Kellern zu tun, in denen Natascha Kampusch und die Opfer von Josef F. gefangen gehalten wurden?

Das ist in den Köpfen der Leute, das wird man nicht mehr herausbringen. Aber es hat definitiv nichts damit zu tun. Mit Kellern habe ich mich bereits bei „Hundstage“ beschäftigt, da war ich in vielen Einfamilienhäusern rund um Wien und habe festgestellt, dass diese Häuser großzügigere Keller haben als Wohnräume, weil die Leute sehr gern ihre Freizeit im Keller verbringen.

Was treibt sie dorthin?

Ich arbeite an einem Film, in dem ich die Beziehung österreichischer Männer zu ihrem Keller untersuche. Der Film heißt „Im Keller“. Die sieben Männer in „Böse Buben/Fiese Männer“ sind ebenfalls im Keller, also das ist das Bühnenbild. Ja, was treibt die Männer in den Keller? Es gibt Hobbykeller, Partykeller, Fitnesskeller, aber der Keller ist auch ein Ort, an dem die Männer offenkundig das tun, was sie eigentlich tun wollen, aber nicht im Wohnzimmer tun können. Der Keller ist ein Ort des Versteckens, der Dunkelheit, des Geheimnisses – und letztlich des Verbrechens.

Sie haben im Theaterensemble Paulus Manker, der als „böser Mann“ geradezu eine Idealbesetzung ist. Er gilt allerdings als etwas unbequem.

Es gibt im Moment eine unklare Situation, ob Paulus Manker dabei sein wird; wir haben künstlerische Differenzen.

Der Film „Liebe“, mit dem Sie nach Cannes eingeladen sind, ist Teil einer Trilogie unter dem Titel „Paradies“. Worum geht es da?

Ich habe so viel Material für einen Film gesammelt, dass ich beschlossen habe, drei daraus zu machen; zum Glück unterstützen mich die Financiers. Es ist eine internationale Koproduktion von Österreich, Frankreich, Deutschland. Die Filme werden auch im Fernsehen zu sehen sein, hoffentlich auch einmal gemeinsam. In der ersten Geschichte geht es um eine 50-jährige Frau, die nach Kenia fährt, um dort Liebe, Sexualität und Zärtlichkeit zu bekommen, die sie hier bei Männern nicht mehr so leicht findet. Die zweite Geschichte ist, dass ihre Tochter, ein pubertierendes Mädchen, in dieser Zeit auf ein Diät-Camp geschickt wird und sich dort in einen viel älteren Mann verliebt. Die dritte Geschichte ist: Die Frau, die nach Kenia reist, hat eine Schwester, die ungefähr in ihrem Alter ist und auch eine Form von Liebe sucht. Sie hat sich aber einem übergeordneten Sinn verschrieben, der Religion, und missioniert für Jesus Österreich.

Was haben Sie selbst für ein Bild von der Liebe. Kann sie funktionieren?

Liebe ist möglich, aber selten. Ich glaube, Liebe ist eine Gnade, die man sich nicht erarbeiten kann. Sie fällt einem zu, und wenn sie einem zufällt, muss man dankbar sein.

Der Österreichische Kunstsenat will einen Großen Staatspreis für ästhetischen Film einrichten. Was halten Sie davon?

Ästhetischer Film? Was soll das sein? Grundsätzlich ist ein Preis immer wertvoll. Ein Preis hilft, damit man den nächsten Film finanzieren kann. Andererseits: Preise können auch inflationär sein. Ich habe das Gefühl, dass fast schon zu viele Preise vergeben werden.

Zur Person

Ulrich Seidl (*1952, Wien) verblüffte 1990 mitseiner ersten großen Kinodokumentation „Good News“: Die Schilderung des Lebens von Wiener Zeitungskolporteuren etablierte ihn als ungewöhnlichen Stilisten und scharfen Beobachter. Nach weiteren kritischen Studien (z.B. über „Models“, 1998) wechselte der Genre-Grenzgänger Seidl mit dem Vorstadtepisodenfilm „Hundstage“ (2001) erfolgreich und ohne Stilbruch zur Fiktion. 2007 war er mit „Import/Export“ im Cannes-Wettbewerb.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Film

Seidl trifft Wallace: Vom Spaß und seinen Grenzen

Dass Filmregisseur Ulrich Seidl ausgerechnet David Foster Wallace adaptiert, ist eigentlich logisch.
Filmfestival Cannes Haneke Seidl
Film

Filmfestival Cannes: Haneke und Seidl im Wettbewerb

"Amour" und "Liebe" sind im Rennen: Erstmals haben gleich zwei Österreicher die Chance auf die Goldene Palme. Die Konkurrenz ist mit Regie-Stars wie David Cronenberg stark.
Ulrich Seidl Gibt nichts
Film

Cannes: "Ein Feiertag für den österreichischen Film"

Für Ulrich Seidl gibt es "nichts Besseres", als seinen neuen Film in Cannes vorzustellen. Auch Hanekes Produzent ist äußerst erfreut.
Cannes Modedesigner Gaultier WettbewerbsJury
Film

Cannes: Modedesigner Gaultier in Wettbewerbs-Jury

Zur Jury gehören außerdem die Schauspieler Diane Kruger und Ewan McGregor sowie Regisseur Alexander Payne. Zwei Österreicher sind im Wettbewerb.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.