„Moonrise Kingdom“: Cannes im Zeichen der Liebe

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Die Filmfestspiele Cannes eröffneten mit einer sympathischen Pfadfinder-Liebesgeschichte des US-Regisseurs Wes Anderson. In typischer Form präsentiert Anderson zwei Welten, die bald erschüttert werden.

Bei der Bekanntgabe des Programms der 65. Filmfestspiele Cannes konnten sich viele Kommentatoren eine ironische Anmerkung über die österreichischen Beiträge nicht verkneifen: Gleich zwei heimische Filmemacher sind heuer im Wettbewerb und, wiewohl Österreichs (Kunst-)Kino gemeinhin eher mit depressiven Tendenzen assoziiert wird, versprechen beide Titel die Liebe. Michael Haneke stellt Sonntag seine französischsprachige Arbeit „Amour“ vor, während schon Freitag Ulrich Seidl den ersten Teil einer großen Kinotrilogie präsentiert – „Paradies: Liebe“.



Konventionelle Liebesgeschichten sind da nicht zu erwarten – Seidl erzählt von Sextouristinnen in Kenia, Haneke von einem greisen Paar und dem nahenden Tod –, aber zur Eröffnung servierte Cannes eine Romanze mit entschieden süßeren Tönen: US-Regisseur Wes Anderson („The Royal Tenenbaums“) entführte mit seinem Wettbewerbsbeitrag „Moonrise Kingdom“ in ein Pfadfinderlager in den Sechzigern, wo ein Paar verliebter Ausreißer für Chaos sorgt. Durch die vergnüglichen Verwicklungen zieht sich aber wieder ein melancholischer Unterton: Bei allem jugendlichen Charme ist diese Liebesgeschichte bittersüß.

Immer innigere Briefe

In typischer Form präsentiert Anderson zwei Welten, die bald erschüttert werden: Temporeiche Kamerafahrten vermessen unter dem Vorspann das Haus der Familie Bishop (als Eltern: Bill Murray, Frances McDormand) mit besonderem Augenmerk für definierende Details: die Fantasie beflügelnde Abenteuerromane oder ein tragbarer Plattenspieler, auf dem Benjamin Brittens Orchesterdemonstration für Jugendliche läuft – die Methode des Komponisten, die Instrumente zu isolieren und wieder zusammenzubringen, hat offensichtliche Parallelen mit Andersons eigenem Kompositionsprinzip. Der Plattenspieler spielt obendrein eine Schlüsselrolle, als Tochter Suzy (Kara Hayward) mit dem Waisenjungen Sam (Jared Gilman) durchbrennt, nachdem sie heimlich ein Jahr lang immer innigere Briefe ausgetauscht haben. Sams Abwesenheit im Pfadfinderlager wiederum sorgt für ein niederschmetterndes Ende des täglichen forschen Morgenrundgangs des Pfadfinderführers (Edward Norton): Als er sich Zugang zu Sams Zelt verschafft, entdeckt er hinter einem Plakat das Loch, durch das der Bub entschlüpft ist.

Abends sitzt der so adrett auftretende Führer rauchend und trinkend vor dem Tonbandgerät und spricht angesichts der zusehends desparaten Lage depressive Tagebucheinträge ins Mikrofon: Wo Andersons Manier zuletzt in „The Darjeeling Limited“ zum Manierismus erstarrte – und nicht nur die porträtierten Erwachsenen ewige Kinder blieben, sondern auch die Porträts –, findet er in „Moonrise Kingdom“ wieder eine glückliche Balance. Bei ihrem romantischen Abenteuer beginnen die zwei zwölfjährigen Ausreißer tastend mit erwachsenen Emotionen zu spielen, die Erwachsenen dagegen haben etwas von verlorenen Kindern. Ihre Neurosen leben sie in Regression aus (wie Murray als Papa, der zur Beruhigung mit der Weinflasche in der Hand einen Baum umhacken geht), ihre Traurigkeit verbergen sie hinter sozialen Rollen. Das Pendant zu den uniformierten Pfadfindern ist Bruce Willis, berührend als sanfter, einsamer Polizist, der in den Vermisstenfall eingeschaltet zum unwahrscheinlichen Helden wird; seine Widersacherin spielt Tilda Swinton als namenlose Verkörperung einer unpersönlichen Bürokratie – sie nennt sich schlicht „Social Services“.

Zwischendurch spielt Anderson parodistisch bis liebevoll mit Abenteuerfilmelementen: Die Jagd nach dem Ausreißerpaar erhält zusätzliche Dringlichkeit durch einen plötzlich im Bild stehenden  Erzähler, der vor einem gefährlichen Wirbelsturm warnt. Aber bei aller Spielerei bleibt im Kern eine leicht nostalgische, doch dabei keineswegs nur unbeschwerte Vision der fernen, verklärten (Jugend-)Liebe: Am Ende offenbart sich der Titel als geheimer Ort des privaten Glücks, in pointiertem Gegensatz zu seinem offiziellen Namen, der nur aus geografischen Koordinaten besteht – ein seliger Fluchtpunkt der Erinnerung. Über dem Abspann erklingt dann eine geniale Hommage an Britten. Ab nächstem Freitag auch in Österreich.

Cannes-Vorschau

Wes Andersons „Moonrise Kingdom“ ist einer von fünf US-Filmen im Bewerb: Zu „Mud“ (Jeff Nichols) und „The Paperboy“ (Lee Daniels) kommen Produktionen von Australiern – John Hillcoats „Lawless“ und Andrew Dominiks „Killing Me Softly“ mit Brad Pitt. Die Österreicher Ulrich Seidl („Paradies: Liebe“) und Michael Haneke („Amour“) konkurrieren auch um die Palme, gegen Größen wie David Cronenberg und Alain Resnais.

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