Filmfestspiele Cannes: Zweite Goldene Palme für Haneke

Eine Sensation Zweite Goldene
Eine Sensation Zweite Goldene(c) Reuters (Yves Herman)
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Der Österreicher ist erst der siebente Filmemacher, der zwei Goldene Palmen erhält. Er gewinnt mit seinem Drama "Amour". "Paradies: Liebe" von Ulrich Seidl, der zweite österreichische Film im Bewerb, geht leer aus.

Der österreichische Filmemacher Michael Haneke hat zum zweiten Mal die Goldene Palme bei den Filmfestspielen in Cannes gewonnen. Sein berührendes und zärtliches Drama "Amour" über Krankheit und Tod bei einem alten Paar wurde am Sonntag von der Jury unter dem italienischen Regisseur Nanni Moretti zum besten Film des Wettbewerbs 2012 gekürt. Es sei "eine Liebesgeschichte für die Ewigkeit" hatte das Filmmagazin "Variety" bereits nach der Premiere am Sonntag vor einer Woche über den Film geschrieben, hätte aber auch Hanekes Beziehung zum Festival an der Croisette meinen können: Seit 1997 regelmäßig im Wettbewerb vertreten, triumphierte er nach "Das weiße Band" (2009) nun als erst siebenter Filmemacher ein weiteres Mal.

Haneke reiht sich damit ein in die Liste der größten Regisseure wie dem Amerikaner Francis Ford Coppola, dem Japaner Shohei Imamura oder den belgischen Brüdern Dardenne, denen dieses Kunststück bisher gelungen war. In "Amour" erzählt er in ruhigen und langen Einstellungen in einer bürgerlichen Altbauwohnung von den letzten Monaten des Ehepaars Georges und Anna, das seit Jahrzehnten verheiratet ist und nach Annas Schlaganfällen mit deren schleichendem Verfall lernen muss umzugehen. Der Film ist ein erschütterndes und intensives Kammerspiel, das nicht zuletzt von seinen großartigen Darstellern Jean-Louis Trintignant, Emmanuelle Riva und Isabelle Huppert lebt. Huppert spielt die Tochter der beiden pensionierten Musiklehrer.

Die sieben Doppelsieger

Alf Sjöberg, Schweden (1946, 1951) Francis Ford Coppola, USA (1974, 1979) Bille August, Dänemark (1988, 1992) Emir Kusturica, Serbien (1985, 1995) Shohei Imamura, Japan (1983, 1997) Luc and Jean-Pierre Dardenne, Belgien (1999, 2005) Michael Haneke, Österreich (2009, 2012)
Haneke selbst genoss den Triumph am Sonntag im Kreise seines Produktions- und Darstellerteams, sein Produzent Veit Heiduschka sprach von "einer Sensation" und einem "tollen Erfolg für Österreich". Von offizieller Seite regnete es am Abend ebenfalls Gratulationen. Kulturministerin Schmied sprach von einer "verdienten Auszeichnung" und konstatierte, dass man Nominierungen und Preise "keinesfalls irgendwann als alltäglich ansehen" dürfe. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz unterstrich die "große Kreativität österreichischer Filmschaffender" und richtete seine Glückwünsche aus. Und Wiens SP-Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny zog via Aussendung seinen Hut: "Chapeau!"

Seidl geht leer aus

Der zweite österreichische Film im 22 Filme umfassenden Wettbewerb, "Paradies: Liebe" von Ulrich Seidl, war zu Beginn des Festivals kontrovers aufgenommen worden und ging bei der Preisverleihung schließlich leer aus. Den Großen Preis der Jury erhielt der italienische Filmemacher Matteo Garrone für seine Gesellschaftssatire "Reality", den Preis der Jury gab es für die Tragikomödie "The Angel's Share" des Briten Ken Loach. Den Regiepreis sicherte sich der Mexikaner Carlos Reygadas für "Post Tenebras Lux". Und der Drehbuchpreis ging an den rumänischen Palmen-Mitfavoriten "Beyond the Hills" von Cristian Mungiu, der zuletzt mit dem Abtreibungsdrama "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage" für Aufsehen gesorgt hatte.

Das Exorzismus-Drama von Mungiu brachte auch den beiden Hauptdarstellerinnen Cosmina Stratan und Cristina Flutur die Auszeichnung als "Beste Schauspielerinnen". Die beiden spielen in Mungius Werk zwei junge Frauen, von denen die eine die andere aus einem Kloster holen will, weil sie nicht ohne sie leben kann. Doch die orthodoxe Gemeinschaft wehrt sich - mit fatalen Konsequenzen. Der Däne Mads Mikkelsen spielte indes in "The Hunt" einen zu Unrecht beschuldigten Kinderschänder - und erhielt dafür die Auszeichnung als "bester Schauspieler". In dem Drama von Thomas Vinterberg verkörpert der "James Bond"-Bösewicht Mikkelsen einen Mann, dessen Leben durch die Lüge eines Kindes zerstört wird.

"Dicht und nuancenreich"

Kein Werk hatte in Cannes aber solch eine Wucht und einen Nachhall erzeugt wie Michael Hanekes "Amour". "Alles an diesem Film ist dicht und nuancenreich", hatte die "taz" geschwärmt. Der "Guardian" sprach von einem "bewegenden, furchteinflößenden und kompromisslosen Drama von unheimlicher Intimität und Klugheit" und attestierte Haneke ein "Filmemachen auf dem höchsten Level von Intelligenz und Einsicht". Und die "Zeit" lobte die Hauptdarsteller, die von einem Regisseur geführt würden, "dessen Werk sich von Film zu Film in immer gelassenere Höhen schraubt". Die Frage nach der zweiten Palme sei in dem Moment nicht so wichtig, "wo dieser Film unerbittlich sanft in den Herzen und Köpfen der Zuschauer implodiert".

Goldene Palme der letzten zehn Jahre:

2012: "Amour", Michael Haneke - Österreich/Frankreich/Deutschland

2011: "The Tree of Life", Terrence Malick - USA

2010: "Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben", Apichatpong Weerasethakul - Thailand/Großbritannien

2009: "Das weiße Band", Michael Haneke - Österreich/Deutschland

2008: "Die Klasse", Laurent Cantet - Frankreich

2007: "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage", Cristian Mungiu - Rumänien

2006: "The Wind That Shakes The Barley", Ken Loach - Großbritannien

2005: "Das Kind", Jean-Pierre und Luc Dardenne - Belgien/Frankreich

2004: "Fahrenheit 9/11", Michael Moore - USA

2003: "Elephant", Gus Van Sant - USA

2002: "Der Pianist", Roman Polanski - Polen/Frankreich

(APA)

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