Haneke: "Der beste lebende Regisseur"

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Der österreichische Regisseur Michael Haneke triumphierte mit dem gefeierten Todesdrama "Amour" zum zweiten Mal in Cannes. Ein historischer Erfolg. Mit dem Kammerspiel überzeugte Haneke auch bisherige Skeptiker.

Sonntagabend schrieb der Österreicher Michael Haneke in Cannes Festivalgeschichte. Für sein französisches Todesdrama „Amour“ erhielt er zum zweiten Mal die Goldene Palme des renommiertesten Filmfestivals: 2009 hatte Haneke für das Historienepos „Das weiße Band – eine deutsche Kindergeschichte“, den Cannes-Hauptpreis zugesprochen bekommen. So schnell hintereinander hat noch nie ein Filmemacher die Palme gewonnen: Das gelang bisher überhaupt nur dem bosnischen Serben Emir Kusturica (1985, 1995), dem Dänen Bille August (1988, 1992), den belgischen Brüdern Jean-Pierre und Luc Dardenne (1999, 2005) sowie – allerdings mit je einer geteilten Palme – dem Japaner Shohei Imamura (1983, 1997) und US-Regiestar Francis Ford Coppola (1974, 1979). So siegte auch schon der Schwede Alf Sjöberg zweimal in Cannes (1946, 1951) – das war aber, bevor das Festival 1955 seine Goldene Palme einführte.

Ein Regensturm fegte am Tag der Preisvergabe über Cannes – wie am Sonntag eine Woche vorher, als Hanekes „Amour“ Premiere feierte: Für den österreichischen Vorzeigeregisseur offenbar ein gutes Zeichen. Die bis dahin vom Wettbewerb enttäuschte Presse reagierte mit Hymnen auf Hanekes Film über ein pensioniertes Musiklehrerehepaar, gespielt von den Altstars Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva. Nachdem die Frau einen Schlaganfall erlitten hat, und da sie körperlich und geistig zusehends verfällt, wird die Beziehung der beiden auf die letzte Probe gestellt. Haneke schildert die Entwicklung so unerbittlich wie taktvoll. „Eine Liebesgeschichte für die Ewigkeit“, donnerte etwa das Branchenblatt „Variety“.

Haneke als „der beste lebende Regisseur“

Mit dem sorgfältig reduzierten Kammerspiel überzeugte Haneke auch bisherige Skeptiker– nicht zuletzt den italienischen Jurypräsidenten Nanni Moretti, der Haneke den Hauptpreis übergab. Der Österreicher betrat die Bühne mit seinen französischen Hauptdarstellern Riva und Trintignant, denen er besonders dankte. Moretti hatte bei der Preisvergabe den „fundamentalen Beitrag“ der Schauspieler unterstrichen und offenbarte in der Jury-Pressekonferenz, dass man „Amour“ gern mehr Preise gegeben hätte, was aber das Reglement verbietet. Trintignant revanchierte sich, indem er Haneke als „den besten lebenden Regisseur“ lobte.

Schon bei der Palmen-Entgegennahme hatte Haneke vor allem seiner Frau Susanne gedankt, die ihn seit über 30 Jahren unterstütze. In der Pressekonferenz der Preisträger führte er die persönliche Natur des Projekts „Amour“ weiter aus: „Die Geschichte, die ich erzähle, beruht auf einem Versprechen, das meine Frau und ich einander gegeben haben: sich in einer Situation wie im Film nicht zu trennen. Wir sehen so etwas die ganze Zeit, und es ist ein weitverbreitetes Problem. Ich habe es in meiner eignen Familie erlebt, und das hat mich letztlich, dazu getrieben, den Film ,Amour‘ zu machen.“

Bundeskanzler Werner Faymann gratulierte Haneke zur „historischen Leistung“, Kulturministerin Claudia Schmied würdigte prompt die „verdiente Auszeichnung“ für „Nonkonformisten“ Haneke sowie die zweite Wettbewerbsteilnahme eines Österreichers: Ulrich Seidl ging aber leer aus. Pikanterweise hatte sich Haneke über Schmieds Absenz bei seiner Premiere beklagt, wo doch die Repräsentanten von Frankreich oder Deutschland gekommen seien. Nach dem erneuten Sieg war Haneke aber nur mehr begeistert. „Ich bin sehr glücklich“, erklärte er im Interview mit Canal+, „und es gibt nichts, was ich sonst dazu sagen könnte.“

Goldene Palme: „Amour“ von Michael Haneke (Österreich)

Großer Preis der Jury: „Reality“ von Matteo Garrone (Italien)

Beste Regie: Carlos Reygadas (Mexiko) für „Post Tenebras Lux“

Bester Darsteller:Mads Mikkelsen (Dänemark) für „The Hunt“ („Jagten“) von Thomas Vinterberg

Beste Darstellerinnen: Cristina Flutur und Cosmina Stratan (Rumänien) für „Over the Hills“ („Dupadealuri“)

Bestes Drehbuch: Cristian Mungiu (Rumänien) für „Over the Hills“

Preis der Jury: „The Angel's Share“ von Ken Loach (England)

Fipresci-Preis der Filmkritik: „In the Fog“ („V tumane“) von Sergei Loznitsa (Weißrussland)

„Goldene Kamera“ für das beste Debüt: „Beasts of the Southern Wild“ von Benh Zeitlin (USA)

Hauptpreis „Un certain regard“(Zweitwettbewerb): „Después de Lucía“ von Michel Franco (Mexiko)

Spezialpreis der Jury „Un certain regard“:„Le grand soir“ von Benoît Delépine und Gustave de Kervern (Belgien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2012)

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