"Tabu": Georg Trakls Inzest als herbe Romanze

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Regisseur Christoph Stark findet viel Verständnis für die Liebe zwischen den Geschwistern Trakl. In "Tabu" wird bloße Vermutung zur Eindeutigkeit.

Hatte der wilde Dichter Georg Trakl, der 1914 mit 27 Jahren als Sanitäter im Ersten Weltkrieg an einer Überdosis Kokain starb, ein sexuelles Verhältnis zu seiner um viereinhalb Jahre jüngeren, ebenfalls drogensüchtigen Schwester Grete, die sich 1917 in Berlin nach einem ausgelassenen Fest erschoss? Wir wissen es nicht, denn die Briefe des Salzburger Geschwisterpaares wurden von der Familie vernichtet.

Hinweise gibt es nur in Trakls dichterischem Werk, durch das die Schwester als „Fremdlingin“ und „Jüngling“ geistert. Das Poem „Blutschuld“ scheint enthüllend zu sein: Es dräut die Nacht am Lager unserer Küsse. / Es flüstert wo: Wer nimmt von euch die Schuld? / Noch bebend von verruchter Wollust Süße. / Wir beten: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld. Diese Verse können aber auch reine Pose sein. Rilke war kein Adeliger, auch wenn er das herbeischrieb, und nicht jeder Dichter, der seine Mutter verflucht, versucht sie auch wirklich umzubringen wie Verlaine. Trakl ließ sich von verfemten Dichtern wie Baudelaire und Rimbaud beeinflussen, außerdem war Inzest an sich ein beliebtes Thema im Fin de Siècle.

Bei „Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden...“ allerdings scheint die Sache klar. Christoph Stark fokussiert seinen hundert Minuten langen Film (mit Lars Eidinger und Peri Baumeister in den Hauptrollen) auf den Drang der Trakls zu expressionistischer Kunst, zu moderner Musik und zum verbotenen Sex. Drehbuchautorin Ursula Mauder verdichtet mit viel Fantasie dieses Familiendrama zu einem Exzess, mit netten lyrischen Passagen zwischen freizügigen Szenen. Solche Kontraste ergeben einen Mix aus Problemfilm der Siebzigerjahre und üppigem neueren Literaturkino mit Weichzeichner. Selbstverständlich wird „Blutschuld“ zitiert, nachdem der Bruder der Schwester beigewohnt hat. Jetzt weiß auch Gretes Ehemann Albert (Rainer Bock), was sich abspielt. Er ist hier ihr Wiener Musikprofessor, tatsächlich war der Gatte ein Berliner Buchhändler.

Kokoschka leidet an seiner Windsbraut

„Tabu“ ist von hohem Ernst, fällt aber nie wirklich ins Lächerliche, ein explizites Werk für zarte junge Seelen, das auch vor der Verwendung mancher Schablone nicht zurückscheut. So haben Oskar Kokoschka und seine Geliebte Alma Mahler im Wiener Kaffeehaus ihren großen Auftritt, Feste werden gefeiert wie bei Klimt – das Name-Dropping wirkt etwas aufgesetzt. Selbstverständlich lehnt eine Skizze der „Windsbraut“ im Atelier, und es fehlte nicht viel, dass auch noch Ludwig Wittgenstein hereinschneite, dem aufstrebenden Dichter einen Scheck über 20.000 Kronen überreichte und dabei aus Vorstudien zum „Tractatus“ zitierte.

Die meisten Rollen sind bis ins Nebenfach mit exzellenten Schauspielern besetzt – etwa mit Katharina Straßer als armem Freudenmädchen, Rafael Stachowiak als fürsorglichem Freund und Vera Borek als finsterer Hauswirtin, die alles rasch durchblickt. Vor allem aber glänzt Petra Morzé als süchtige Mutter Trakl – eine Gesellschaftsdame, die das Laudanum dringender braucht als die Zuneigung ihrer Kinder. Wenn sie den durch einen Schlaganfall behinderten Mann vorm Konzert der Tochter einfach auf den Gang rausschiebt, ist das von kaum zu überbietender Kälte, wenn sie das Rauschgift trinkt, zeigt sich das große Elend im Detail.

Eidinger spielt Georg Trakl nicht als billige Nachahmung, sondern mit Wucht: keine kurz geschorene oder glatt zurückgekämmte Frisur wie in den bekannten Fotografien, sondern Haarsträhnen im Gesicht, welche die Pose eines postromantischen Dichters unterstreichen, die sowohl in Szenen der Leidenschaft (an malerischen Wasserfällen, in heimeligen Stuben) als auch in der Agonie des Lebensmüden so effektvoll eingesetzt werden wie das Augenspiel.

Die schönste Entdeckung aber ist Baumeister, 1986 in Berlin geboren, praktisch noch eine Debütantin. Sie gibt ein hoch begabtes Mädel und zart-herbes Luder, eine aufstrebende Künstlerin und aufbegehrende Tochter – sensibel und stets mit großer Intensität. Sogar die Nacktszenen werden niemals peinlich in diesem schwermütigen Film über schuldhafte, heimliche Liebe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2012)

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