Sexkrimi: Die völlige Entgrenzung

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"Guilty of Romance": Exzess, Ekstase und Elend der Selbstentäußerung: Der Erotikthriller des Japaners Sion Sono lässt den Sexhit "Shades of Grey" alt aussehen. Ab Freitag im Kino.

Er habe eine „Hasstrilogie“ von Filmen gemacht, sagt der Japaner Sion Sono, „weil Hass die Emotion ist, die Liebe am stärksten beinhaltet. Liebe ist die Quelle des Hasses.“ Das sei wie bei Satanisten, die auch „paradoxerweise stärker an Gott glauben als es normale Menschen tun: Menschen, die hassen, haben einen stärkeren Bezug zur Liebe.“ Die Idee des Paradoxen ist der Schlüssel zum Ausnahmefilmemacher Sono: Sein surreales Kino der Exzesse kostet extreme Widersprüche aus, als Fusion von Philosophie, Provokation und Pop, Letzterer vor allem in der knallbunten japanischen Spielart. Sono ist ein Hassprediger der Liebe.

Schon als Teenager trat Sono mit avantgardistischer Poesie und Guerilla-Performances in Erscheinung, 1985 dokumentierte er das im bescheiden „I am Sion Sono!“ betitelten Kinodebüt. Bald wechselte er zum Spielfilm, schräge Thriller („Suicide Cult“) und Horrorfilme über mörderische Haarverlängerungen („Exte“) etablierten ihn als Kultregisseur, Marke „Asia Extrem“. 2007 sorgte sein Auftakt zur Hasstrilogie für internationale Furore: die vierstündige, jede Sekunde atemberaubende Amour-fou-Achterbahnfahrt „Love Exposure“. Von den Rändern der Festivalszene kam Sono 2011 mit „Himizu“ in den Venedig-Wettbewerb: Der Auftakt einer neuen Trilogie, über Japan nach Fukushima, ganz auf Werklinie – exzessiv im Stil und thematisch völlig den Randständigen in einer konformistischen Gesellschaft gewidmet.

Antidot zur Zeitgeist-Erregung

Direkt davor schloss Sono seine Hasstrilogie ab: mit der verschachtelten Sex-und-Crime-Saga „Guilty of Romance“, die nun gerade rechtzeitig in die Kinos kommt. Als Antidot zum Zeitgeist-Trash des Sadomaso-Bestsellers „Shades of Grey“ von E.L. James, der auf Fanfiction-Niveau die Wiederkehr jener Erregung produziert, die in den 1950ern beim anspruchsvolleren Unterwerfungsklassiker „Geschichte der O.“ noch von Zensurkämpfen umgeben war und sich in den 70ern im Romanerfolg „Auf der Suche nach Mr. Goodbar“ niederschlug, nach der (wahren) Geschichte einer promiskuitiven Lehrerin, die von einem ihrer One-Night-Stands ermordet wird. Sonos „Guilty of Romance“ basiert auf einem ähnlichen Fall aus Tokios Sexbezirk Shibuya in den 90ern. Ein Vorspanntitel verrät die enormen, fast mythischen Ambitionen seines Films: „Am Vorabend des 21. Jahrhunderts...“

Um drei archetypische Frauenfiguren konstruiert Sono seinen zweieinhalbstündigen Montage-Wirbelwind: Als Inspiration nennt er Kandinskys Malerei. Eine Kommissarin eilt vom Ehebruch im schmierigen „Love Hotel“ zum Mordschauplatz nebenan: eine Schaufensterpuppe, mit einer zerstückelten Leiche zusammengesetzt. Der Körper als Schlachtfeld – wie im Mittelteil der Hasstrilogie, der als einziger tatsächlich nicht von der Liebe handelt: „Cold Fish“, ein geradliniger Faustwatschen-Film vom ganz normalen Faschismus in den Zierfischbecken der Industriegesellschaft. Parallel zu Polizeiermittlungen beginnt die Erzählung von Izumi, Gattin eines Bestsellerautors, der ironischerweise die Kitsch-Variante von James' „Mommy Porn“ schreibt: Hausfrauenfantasiebefriedigung, süßlich eben statt Sadomaso. Izumis unterwürfige, erstickende Existenz im stillen Ehegefängnis beschreibt ein wiederkehrendes Bild: Nach dem morgendlichen Abschied platziert sie millimetergenau die Hausschuhe des Mannes für seine Rückkehr. „Ich will noch etwas erleben, bevor ich 30 bin“, schreibt Izumi ins Tagebuch, verdingt sich als Würstchenwerberin im Supermarkt, wird als Modell entdeckt und lässt sich, ganz so devot wie daheim, zum Sexfilm-Dreh überreden.

„Möchten Sie probieren?“

Schnell taucht sie ab in eine Welt, deren Abgründigkeit sich nicht mit Grauschattierungen aufhält: Trotz Pop-Farben ist der Grundton von Sonos Film tiefschwarz. Die Figuren suchen die Schwärze des Vergessens in der völligen Entgrenzung: Die Selbstentäußerung verspricht Frieden. Sono zeigt auch seinen typischen Humor (so preist Imizu nach ihrem sexuellen Erwachen immer größere Würstchen an), aber die Dynamik ist die einer Abwärtsspirale. In der Literaturprofessorin Mitsuko findet Imizu ihre Lehrmeisterin: Die hat ein Faible für Kafkas „Schloss“, Perversion und Prostitution: Nachts führt sie in Shibuya ein Doppelleben als enthemmte Prostituierte, schult Izumi im Sexgewerbe ein.

Die entdeckt in der Unterwerfung auch sinnliche Selbstverwirklichung, posiert danach nackt vor dem Spiegel: „Möchten Sie probieren?“ Erstmals fühlt sie sich nicht mehr nur als Objekt. Aber Subjekt zu sein macht auch nicht glücklich: Imizu und Mitsuko erleben das Entgleiten als Pas de deux vom Trinkspruch „Auf den Sex!“ zum poetischen Aufschrei gegen die innere Leere. Das Gedicht „The Way Home“ vom japanischen Modernisten Ryuchi Tamura wird dabei zum Leitmotiv als Traum von einer „Welt ohne Wörter“, in der die Körper von selbst sprechen können: „Ich halte in deinen Tränen inne.“ Dieser Zustand ist das „Schloss“, das Mitsuko sucht, auch wenn es nur im Tod zu finden ist. Die perverse Sehnsucht kleidet Sono in entsprechend hemmungslose Bilder und Töne: Zur größten Erniedrigung brandet Gustav Mahler auf, und Imizu lächelt.

Aus Liebe: Messer ins Herz

Der Gegenpol zu den grausam-lustvoll überbordenden Exzessen ist ein Alltag, der im Kontrast unheimlich wirkt: Heimliche Hauptfigur wird die Kommissarin als vermeintliche Vernunftgestalt, deren Nachforschungen sie zu den eigenen Abgründen zurückführen – bis zum unglaublichen Abspann, zu dem sie eine anfangs erzählte Anekdote selbst erlebt, als Traum von Freiheit im Nirgendwo, vielleicht trügerisch: „Ich weiß es nicht.“ Noch unglaublicher ist nur die Szene, in der sich eine Frau auf der Straße einfach ein Messer ins Herz rammt: Ausdruck ihrer Liebe, verschmolzen mit ihren Schuldgefühlen. Ein Akt wie in einer Welt ohne Wörter. Erlösend. Endgültig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2012)

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