„Grenzgänger“: Mata Hari in der Marchau

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In „Grenzgänger“ verlegt Regisseur Florian Flicker Karl Schönherrs Alpendrama „Der Weibsteufel“ ins streng bewachte niederösterreichisch-slowakische Grenzgebiet. Es regiert die Wildnis, rau, unberührt, archaisch.

So unösterreichisch kam noch selten eine Filmlandschaft daher wie in Florian Flickers „Grenzgänger“. Keine gepflegte Kulturlandschaft, kein idyllisches Alpenpanorama. Sondern Wildnis, rau, unberührt, archaisch. Die Marchau an der niederösterreichisch-slowakischen Grenze ist der Schauplatz für eine Dreiecksgeschichte.

Das Ehepaar Hans (Andreas Lust) und Jana (Andrea Wenzl) lebt in einem etwas heruntergekommenen Haus mitten in der Einöde. Das karge Einkommen, das die Fischerei und ein wenig frequentiertes Gasthaus abwerfen, bessern sie mit illegaler Fluchthilfe auf. Hans gabelt auf der slowakischen Seite der March Flüchtlinge auf und versteckt sie so lange bei sich im Haus, bis ein Schlepper sie abholt. Die Geschichte spielt 2001, als die Marchgrenze noch intensiv vom Bundesheer bewacht wurde, da sie vor der Osterweiterung der EU wegen ihrer Unüberschaubarkeit als eines der effektivsten EU-Schlupflöcher galt. Als das Bundesheer vom illegalen Nebenverdienst des Paares Wind bekommt, schickt es den jungen Präsenzdiener Ronny (Stefan Pohl) zum Schnüffeln aus. Er soll sich mit Jana anfreunden und Beweise für das illegale Geschäft finden. Ronny geht darauf gern ein, er fühlt sich ohnehin zur herben Jana hingezogen. Doch Hans durchschaut den Spionageplan: „Des is a Mata Hari, des sag i dir“, raunt er Jana zu und verlangt von ihr, auf Ronnys Avancen einzugehen, um den lästigen Bundesheer-Leutnant in der falschen Sicherheit zu wiegen, dass sein Plan aufgehen wird.

Politisch aufgeladene Interpretation

Diese Konstellation kommt einigen vielleicht vage bekannt vor. Zu Recht: Florian Flicker hat Karl Schönherrs Volksstück „Der Weibsteufel“ aus dem Jahr 1915 als Drehbuchvorlage genommen. Indem Flicker den Stoff aus dem älplerischen Jägermilieu an die österreichische Ostgrenze verlegt, lädt er ihn politisch auf. Dankenswerterweise wird hingegen Schönherrs moralisierende Anklage gegen das verführerisch-verdorbene Weib, das die Männer in den Abgrund stößt, nicht erhoben. Auch die von Schönherr-Interpreten gern in den Mittelpunkt gerückte Genderfrage – zum ökonomischen Objekt reduzierte Frau begehrt auf – dominiert nicht. Die Frage der Abhängigkeit von Jana, einer Slowakin, von ihrem österreichischen Ehemann wird im Film kurz, aber griffig angerissen: „Ohne mich bist du nichts“, sagt Hans zu Jana. „Mit dir bin ich aber auch nicht viel“, kontert diese nüchtern.

In „Grenzgänger“ ist lange nicht klar, wer im erotischen Machtspiel, an dem sich alle die Finger verbrennen, Oberwasser behalten wird und welcher Figur die Sympathien gehören. Und das ist gut so. Andreas Lust spielt den Hans als wortkargen Einzelgänger und Naturburschen. Mit der Grenzöffnung erwartet er eine Flut von Touristen, die er, je nach Tageslaune, mit einem Golfplatz oder einem Pfeil- und Bogenpark mit bizarren Wildtierattrappen bei Laune halten will. Andrea Wenzls Jana bleibt bis zum Schluss enigmatisch. Nur in wenigen Momenten blitzt eine unter der Haut liegende Verletzlichkeit auf, die erahnen lässt, dass sie in diesem Leben weniger fest verwurzelt ist als ihr genügsamer Ehemann. Die Kamera beobachtet Jana mehrmals beim Häuten und Ausnehmen von Fischen, einem blutigen Schauspiel, das ihr archaische körperliche Präsenz verleiht. Stefan Pohls Präsenzdiener Ronny changiert zwischen jugendlicher Naivität und draufgängerischer Verschlagenheit. Wie ein Westernheld für Arme reitet er auf einem Haflinger namens Casanova durch die Sumpflandschaft und zieht immer engere Kreise um das Objekt seiner Begierde.

Fressen und gefressen werden

Die erste Handgreiflichkeit zwischen den Rivalen löst ein ironisches Zitat aus Francis Ford Coppola „Apocalypse Now“ aus. „Vietcong“, flüstert Ronny und geht in Lauerstellung, als er im Fischerboot mit Hans auf der nebelverhangenen March treibt. Hans kann mit der Anspielung nichts anfangen und reagiert unwirsch. „Das hast jetzt aber nicht verstanden“, verhöhnt ihn Ronny. Mehr braucht es nicht, und Hans geht seinem selbst herangezüchteten Nebenbuhler an die Gurgel.

Wenn es in diesem Film eine Moral gibt, dann ist es die vom Fressen und Gefressenwerden. Eine Maxime, die letztlich auch in der Liebe gilt. In „Grenzgänger“ regiert die Wildnis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2012)

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