Austro-Kino: Die Lebenden und die Toten

Cold Blood
Cold Blood(c) Photo: Jan Thijs (Jan Thijs)
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Nach längeren Pausen melden sich zwei Prestigefiguren des heimischen Kinos zurück: Stefan Ruzowitzky mit dem kompetenten Hollywood-Krimi „Cold Blood“, Barbara Albert mit „Die Lebenden“.

Die Situation sei „wie in einem alten Film“, sagt eine Figur in Stefan Ruzowitzkys Thriller „Cold Blood“. Und am Hollywood-Einstand des Regisseurs des österreichischen Auslandsoscar-Gewinners „Die Fälscher“ gefällt genau der traditionelle Zugang zum Genre. Nur dieses eine Mal kommentiert man sich selbst: Ruzowitzkys Film hebt sich wohltuend ab vom postmodernen Krimikino, auch wenn seine Schneestimmungen an „Fargo“ von den zitierwütigen Coen-Brüdern erinnern mögen.

Die angestrebte inszenatorische Knappheit demonstriert schon die Eröffnung: drei Menschen in einem Auto, mit viel Geld. Es ist die Beute eines Casinoüberfalls. Doch der Fluchtwagen gerät ins Schleudern und landet in einer Schneewehe. Der Fahrer ist tot, ein Polizist kommt daher – und wird niedergeschossen. Das Geschwisterpaar Addison (Eric Bana) und Liza (Olivia Wilde) flieht zu Fuß in Richtung der kanadischen Grenze weiter. Auf getrennten Wegen, obwohl in wenigen Szenen schon ihr inzestuös anmutendes Nahverhältnis etabliert worden ist.

Würdig: Sissy Spacek, Kris Kristofferson

Liza landet zufällig bei einem anderen Flüchtigen. Der ehemalige olympische Boxer Jay (Charlie Hunnam) ist eben aus dem Gefängnis gekommen und zu seinem betrügerischen Manager gegangen: Diesen glaubt Jay bei der folgenden Auseinandersetzung unabsichtlich getötet zu haben. Nun will er unbemerkt zum Thanksgiving-Dinner bei seinen Eltern, wohin Liza prompt ihren Bruder bestellt. Auf dessen Fährte hat sich eine Polizistin (Kate Mara) geheftet, die Probleme mit ihrem sexistischen Chef (Treat Williams) hat – der außerdem ihr Vater ist.

Die finale Konfrontation am Festtagstisch ist unvermeidlich: Dort laufen auch die thematischen Linien logisch zusammen. Denn „Cold Blood“ ist ein Familienfilm: Zum Kindheitstraumaverhältnis der Räubergeschwister und der angespannten Beziehung der Polizistin zum autoritären Papa kommt ein schwelender Konflikt in Jays Heim. Anders als die liebevolle Mutter (Sissy Spacek) hat der Vater (Kris Kristofferson) – ein Ex-Gesetzeshüter – dem Sohn nicht verziehen. Das nutzt der Gangster Addison, die schillerndste Figur des Films: Bana spielt ihn unterkühlt als tendenziell psychotischen Spaßvogelschurken mit irritierendem Schutzengelkomplex. Letzteres zeigt sich in einem unerwarteten Zwischenspiel mit einer kaputten Familie – einer der Handlungstränge, in denen die Drehbuchkonstruktionen von Debütant Zach Dean etwas auffällig geraten.

Doch Ruzowitzkys kompetente Action-Inszenierung – sehr effektiv: eine Schneemobil-Verfolgungsjagd – braust souverän durch die erzählerischen Unebenheiten; nur die angestrengten Hochglanz-Erotikeinlagen hätt's nicht gebraucht. Als kleinerer Hollywood-Film mit gewissem Starglanz (die Veteranen Spacek und Kristofferson haben weniger interessante Rollen als Bana, aber verströmen würdige Aura) macht „Cold Blood“ jedenfalls gute Figur. Leicht hat es dieser solide Thriller mit Western-Anklängen im heutigen Traumfabriksystem trotzdem nicht: Erst hätte er themengerecht „Kin“ („Sippe“) heißen sollen. Das schien offenbar zu unkommerziell, also machte man den Titel austauschbar: „Deadfall“ im Original, „Cold Blood“ heißt es nur im deutschen Sprachraum, wo der Film vor einer begrenzten US-Kinoauswertung startet. In Übersee gibt es ihn dabei schon per „Video on Demand“.

An der Finanzkrise gescheitertes Projekt

Drei Jahre ist es her seit Ruzowitzkys letztem Film „Hexe Lilli“, wegen der wackligen Produktionsumstände und Wartezeiten in Hollywood. Bei „Nordrand“-Regisseurin Barbara Albert sind es sechs Jahre Pause seit ihrem Film „Fallen“: Die Österreicherin erlebte ebenfalls Verzögerungen beim US-Zwischenspiel. Dort war ein Independent-Film von ihr 2008 drehbereit, als die Privatinvestoren wegen der Finanzkrise absprangen. Mit „Die Lebenden“ hat sie sich heuer auf dem Festival von San Sebastián zurückgemeldet.

Die Erzählung verläuft wesentlich konventioneller, daher auch monotoner als bei Alberts vorhergehenden kaleidoskopischen Versuchen: Die Berliner Studentin Sita (charismatisch: Anna Fischer) rollt ihre Familiengeschichte auf, als sie auf ein Foto ihres Opas in SS-Uniform stößt. Über Warschau nach Auschwitz führt ihr Weg, der gleichermaßen Selbstfindungsprozess wie Historienlektion ist. Ersteres lässt den Film erratisch mit seiner Hauptfigur treiben, Zweiteres sorgt (samt symbolschweren Ideen) für oft recht demonstrativ wirkende Zwischenspiele. Wo das Buch von „Cold Blood“ die dramatischen Konflikte teils zu bemüht umreißt, versinkt das Drama von „Die Lebenden“ irgendwo zwischen den thematischen Ambitionen. Dabei erzählen beide Filme das Gleiche: Es geht um Verantwortung und die Auseinandersetzung der Generationen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2012)

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