"Sinister": Wenn die Bilder den Tod bringen

Sinister Wenn Bilder bringen
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Ethan Hawke als Autor, der an einem unheimlichen Ort psychisch entgleist: Scott Derricksons effektiver Horrorfilm bündelt Genre-Trends. Der Film ist ab Freitag in den heimischen Kinos zu sehen.

Am Anfang ein Familienfilm der entsetzlichen Art: Ein altmodisches Super-8-Home-Movie zeigt in Zeitlupe eine Familie im Garten – Kapuzen über den Köpfen, Stricke um den Hals. Der Ast, an dem die Leute hängen, geht in die Höhe, die Beine strampeln im Todeskampf. Dann sieht man eine andere Familie beim Einzug in das Haus, zu dem der Garten gehört: Vater Ellison Oswalt (Ethan Hawke) hatte einst als True-Crime-Autor Erfolg, nun sucht er verzweifelt nach dem Stoff für einen neuen Knüller. Hier wittert er das Material für ein Buch, das sein „Kaltblütig“ werden könnte. Der Gattin (die britische Theater-Koryphäe Juliet Rylance) und den zwei Kindern hat er nicht gesagt, an welchen Ort er sie gebracht hat. „Geschmacklos“ findet das der feindselige örtliche Sheriff (charismatisch: der Politiker und Schauspieler Fred Thompson).

Ein Theologiestudent als Horrorregisseur

Geschmacklosigkeit ist mit ihrer absichtlichen Grenzüberschreitung ein Garantiefaktor für Schockwirkung im Horrorfilm, zuletzt in Hollywood erfolgreich als „Torture Porn“ in Filmreihen wie „Saw“ und „Hostel“ ausgeschlachtet. Die gegenläufige Linie im Kino des Grauens verlässt sich auf die Kunst der Andeutung – was sich der Zuseher vorstellt ist immer schrecklicher als das, was ihm vorgesetzt wird. In „Sinister“ bündelt der Regisseur und Theologiestudent Scott Derrickson („Der Exorzismus von Emily Rose“) die zwei Genre-Grundlinien sympathisch ironiefrei.

In den USA war der billige Independent-Film ein solider Erfolg, produziert und vermarktet entlang der Linie der Horrorserie „Paranormal Activity“. Mit diesen Überwachungskamera-Überraschungshits teilt „Sinister“ einen Zugang, der im Genre zuletzt sehr populär geworden ist: den Einsatz von „Found Footage“, also Film- oder Videomaterial, das irgendwo gefunden worden ist – oder halt im Namen einer Authentizitätsbehauptung als gefunden ausgegeben wird. Den Boom ausgelöst haben das angebliche Geisterdokument „Blair Witch Project“ und japanische Schauerstücke, die prompt ihr Traumfabrik-Remake erfuhren: etwa „The Ring“ mit seiner tödlichen Videokassettenbotschaft. Der Trend hat auch mit einem technischen und ökonomischen Umbruch zu tun: Das althergebrachte analoge Filmmaterial wird zunehmend von digitalen Produktions- und Projektionsformen abgelöst.

Das Wesen dieses Wandels ist noch immer nicht wirklich verarbeitet worden: Das alte Konzept vom Fotorealismus des Kinos etwa hat ausgedient. Aber zu spüren ist vor allem ein atmosphärischer Unterschied – und gerade das Horrorkino reagiert sensibel auf Atmosphären. Als Regisseur hat Derrickson Gespür dafür: „Sinister“ ist auch eine dunkle Variation auf Kubricks Klassiker „The Shining“. Hawke überzeugt als Autor, der an einem unheimlichen Ort zusehends aus der Fassung gerät und psychisch entgleist.

Und zwar dank einer veralteten Technologie: Beim Rundgang durchs Haus stößt der Schriftsteller nicht nur auf einen Skorpion und eine Schlange, sondern auf einen alten Super-8-Projektor mit Filmrollen, deren harmlose Beschriftungen sich als zynisch entpuppen: Das „Family Hanging“ zeigt keine gemütlich herumhängende Familie, sondern das Schreckensszenario vom Anfang. Die „Gartenarbeit“ präsentiert äußerst unsachgemäßen Einsatz eines Rasenmähers.

Beharren auf der Macht des Kinos

Irgendwann entdeckt der Autor im Hintergrund der Bilder einen grässlichen Geist, sein Whiskeykonsum gerät außer Kontrolle und führt zu nächtlichen Wanderungen durchs knarzende Haus, bei denen sich Derrickson ganz effektiv, wenn auch etwas enttäuschend, auf plötzliche „Buh“-Schrecks mit entsprechender Terrormusik verlässt.

Dass die Hauptfigur bei ihrer Arbeit gar nicht sachgemäß vorgeht, darf als Abgleiten in die innere Psychose interpretiert werden: Hinweise kommen über Telefon von einem Fan in der örtlichen Polizei (amüsant: James Ransone) und über Skype von einem Okkultismus-Experten (Vincent D'Onofrio). Worauf der Film hinausläuft, ist zwar wenig überraschend, aber immerhin konsequent: Es sind buchstäblich die Bilder, die den Tod bringen – dass sie hier in einem überholten Filmformat daherkommen, gibt „Sinister“ eine Pointe, die über bloße Nostalgie hinausgeht. Es ist ein Beharren auf der Macht des Kinos in Zeiten (nicht nur) seiner Krise.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2012)

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