"Schiffbruch mit Tiger": Ang Lees spiritueller Bildertrip

Schiffbruch Tiger Lees spiritueller
Schiffbruch Tiger Lees spiritueller(c) Centfox
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Die Buchverfilmung "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger" schildert eine abenteuerliche Ozean-Odyssee in 3-D als Glaubensbekenntnis – zur digitalen Wunderwelt. Ab 26.12. im Kino.

Kein bescheidener Einstieg: „Diese Geschichte wird Sie an Gott glauben lassen“, versichert der Mann namens Pi (Irrfan Khan) seinem Zuhörer. Das ist etwas zu hoch gegriffen, aber die Geschichte von Pi hat in Ang Lees Umsetzung das Potenzial, den Glauben an die Möglichkeiten digitaler 3-D-Technik zu erneuern: Schon der Vorspann entzückt mit Schriftdesign, das den jeweiligen Bildern angepasst ist – zu sehen ist eine Schnittfolge der sehr charmanten Tiere im Zoo, den die Familie Patel in Puducherry, dem vormals französischen Teil Südindiens, betreibt.

Der eigenartige Vorname von Pi Patel verdankt sich der Sprache der einstigen Kolonialherren: Mit vollem Namen heißt er Piscine, nach einem als nachgerade magisch erinnerten Schwimmbad in Frankreich. Das wirft eine tatsächlich verzaubernde Bebilderung in 3-D ab: Aufgrund der anderen Viskosität eignet sich Wasser besonders für dreidimensionale Eindrücke, was Lee im Weiteren weidlich nutzt.


Computertiger. Seine Literaturadaption „Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“ nach dem als unverfilmbar gehandelten Erfolgsbuch von Yann Martel erzählt größtenteils die 227 Tage dauernde Odyssee zweier Schiffbrüchiger auf dem Ozean: Dabei muss der Teenager Pi nicht nur die Elemente überwinden, um zu überleben, sondern auch seinen Reisebegleiter – eben den Tiger, der bis auf wenige Szenen eine eindrucksvoll detaillierte Digitalkreation ist.

Als Abenteuerfilm ist „Life of Pi“ trotz seiner elementaren Ausgangsposition vor allem ein Triumph modernster Computeranimation: Mit erstaunlichen Effekten steigert Ang Lee seine Parabel immer wieder zum spirituellen Bildertrip – da geht es um die Macht des Glaubens, und zwar religionsübergreifend. Man ahnt, was den gebürtigen Taiwanesen Lee als erfolgreichen Grenzgänger zwischen Asien („Crouching Tiger, Hidden Dragon“) und Hollywood („Brokeback Mountain“) am Stoff gereizt hat, wenn Pi bereits als kleiner Bub die vorgegebenen Grenzen hinter sich lässt. Wiewohl bekennender Hindu, konvertiert er auch noch zum Christentum – und nimmt später zusätzlich den islamischen Glauben an, der Warnung seines Vaters zum Trotz: „Religion ist Dunkelheit.“

„Life of Pi“ stellt solchem Pessimismus, eine Suche nach dem (kreativen) Licht gegenüber: In der Rahmenhandlung erzählt der erwachsene Pi seine unglaubliche Geschichte einem Schriftsteller, der dadurch seine Schreibblockade überwinden will.


Degoutanter Depardieu. Pis Schilderung seiner Kindheit ist vorwiegend heiter bis putzig: Selbst die Konflikte sind noch komisch – so entzieht sich Piscine den naheliegenden Hänseleien seiner Schulkollegen wegen seines Namens durch eine überbegabte Mathematikdemonstration, mit der er sich prompt den Spitznamen Pi sichert.

Als er sechzehn wird, beschließen die Eltern, samt den Zootieren zu emigrieren. Auf der Überfahrt kommt es erst zur Auseinandersetzung mit dem feindseligen Schiffskoch (Gérard Depardieus furchtlos degoutanter Auftritt dauert keine zwei Minuten, ist aber nicht weniger memorabel als die aufwendigsten Spezialeffekte des Films) – und dann zur Katastrophe. Nur Pi überlebt diesen gewaltigen Schiffbruch und treibt zusammen mit einem Zebra, einer Hyäne und einem Orang-Utan im Rettungsboot. Bis unter dessen Abdeckungsplane plötzlich der Tiger hervorspringt und beginnt, die spärliche Besatzung gemäß dem Gesetz des Stärkeren zu dezimieren. Pi rettet sich auf ein notdürftig arrangiertes Begleitfloß, wo er mithilfe eines Überlebensratgebers und Vorräten in sicherem Abstand bleibt. Doch er weiß: Über kurz oder lang wird er ein Auskommen mit dem Tiger finden müssen. Kern des Films ist dieses Jugendabenteuerszenario, von dem sich Lee immer wieder zu märchenhaften Bildern inspirieren lässt.

Fliegende Fische scheinen von der Leinwand in den Zuschauerraum zu springen, später strandet das ungleiche Duo auf einer fantastischen, fleischfressenden Insel und als Pièce de résistance konterkariert Lee die Gotteszweifel, die Pi beschleichen, mit einer kosmischen Vision: ein bestechendes psychedelisches Spektakel, bei dem man sich kurz fragt, ob der Regisseur bei der farbenfrohen Illustration eines LSD-Trips in seinem letzten Film „Taking Woodstock“ auf den Geschmack gekommen ist. Denn wie die Rahmenhandlung schon suggeriert, verhandelt der Film seine Glaubensfragen über den Glauben an die Kraft des Erzählens: In deren Dienst stehen die oft sensationellen visuellen Eskapaden von „Life of Pi“ – als 3-D-Schauspiel ist Lees Werk ein Äquivalent zu „Avatar“ mit anspruchsvollem Hintergrund.

In beiden Fällen triumphiert die ausgeklügelte Optik über die behauptete thematische Substanz: Wenn Pi schließlich seine Erzählung noch einmal anders, „realistisch“ (und unbebildert) zum Besten gibt, wirkt das ein wenig wie ein Buchhalterzugeständnis nach dem Rausch der überbordenden Fantasie. Das eingangs versprochene Glaubensbekenntnis bekommt damit eher den Beigeschmack eines Taschenspielertricks, dessen Echtheit die Filmfiguren vorsorglich versichern. Mit seinem minimalistischen Kern fehlt „Life of Pi“ jenes soziale Umfeld, dessen differenzierte Betrachtung eine der größten Stärken von Ang Lees Regiearbeiten ist: Übrig bleibt so ein sympathisches, aber recht naives universales Credo mit philosophischem Anstrich.


Zauberkastenanimation. Trotzdem hat „Life of Pi“ das Zeug zum Manifest einer virtuellen Religion: Das Kino des 20.Jahrhunderts konnte man als eine Art Ersatzkirche sehen, die in der Wirklichkeit verankert ist. In der digitalen Ära ist es zum Zauberkasten geworden: eine beliebig manipulierbare Wunderwelt, die neue Visionen verspricht. Ob diese tatsächlich transzendente Kraft haben, muss sich erst zeigen. Lee bebildert buchstäblich diesen Aufbruch: „Life of Pi“ ist ein Animationsfilm mit echten Menschen. Nur fehlt es der Animation noch an echtem Animus.

Zur Person

Ang Lee wurde 1954 in Pingtung, Taiwan, geboren. Sein Filmstudium begann er in der Heimat, führte es dann in den USA fort.

In New York heiratete er 1982 die ebenfalls in Taiwan geborene Jane Lin, mit der er zwei Kinder hat. Die Molekularbiologin war lange die finanzielle Versorgerin der Familie, die in die USA eingebürgert wurde.

Lees Regiedebüt war „Schiebende Hände“, eine taiwanesische Tragikomödie (1992). Der Durchbruch folgte 1993 mit seinem Berlinale-Gewinner „Das Hochzeitsbankett“ sowie dem Welterfolg „Eat Drink Man Woman“ (1994).

Hollywood holte dann Lee für „Sinn und Sinnlichkeit“ (1995). Seither pendelt der Regisseur erfolgreich und preisgekrönt zwischen Asien und USA, mit Filmen wie „Der Eissturm“ (1997) oder „Crouching Tiger, Hidden Dragon“ (2000). 2006 erhielt Lee den Regie-Oscar für „Brokeback Mountain“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2012)

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