„Ludwig II.“: Die Leiden der ewigen Jungfrau

(c) Warner
  • Drucken

Wieder ein Ludwig auf der Leinwand! Der bayerische „Märchenkönig“ ist nicht umzubringen, sofern er nur gut gespielt wird wie hier. So nah am Wirklichen war er selten, verklärt ist er schon. Aber wollen wir nicht genau das?

„Es war Mord“, steht auf einem Plakat, daneben ein paar vermummte Gestalten, hinter ihnen der Starnberger See. Solche Bilder kennt man von den Guglmännern, einem bayerischen monarchietreuen Geheimbund, der vor allem einen König verehrt: Ludwig II., den „Märchenkönig“. Den Schöpfer des maßlos exzentrischen Schlosses Neuschwanstein, Wagner-Verehrer, der Kriege durch Konzerte ersetzen wollte und an seine Cousine Sisi über eines seiner Schlösser schrieb: „Die Menschen sollen wissen, dass hier das Schöne entstanden ist, nur um der Schönheit willen. Einen muss es doch geben im Land, der nicht nur dran denkt, was ihm nützt. Wenn es niemand andrer ist, muss es eben der König sein.“



Aber nicht nur die Guglmänner lieben Ludwig II., und nicht nur die Bayern. In alle Welt strahlt der Ludwig-Kult, der Mythos des an der schnöden Realität zerbrochenen Königs, aus. Und haufenweise Psychiater verdammten ihren Vorgänger, der den die Staatsfinanzen ruinierenden König auf politischen Wunsch für verrückt erklärt hatte.

War er Borderliner, bausüchtig?

Bis zuletzt agierte Ludwig II. rational – wie „geistesgestört“ war er wirklich? Das wird man wohl nie genau wissen, zumal nach seinem Tod Akten „verschwunden sind“. Heutige Psychiater spekulieren mit allen möglichen Begriffen: schizotype Störung, Borderlinesyndrom, Bausucht. Kurz gesagt: Er war etwas seltsam. Aber verrückt, unzurechnungsfähig? Dafür gibt es keinen Beweis.

Ebenso wenig wird wohl je ganz geklärt werden, was am 13. Juni 1886 passiert ist. Einen Tag, nachdem man den 40-Jährigen gewaltsam nach Schloss Berg abtransportiert hatte, fand man ihn mit seinem psychiatrischen Gutachter ertrunken im Starnberger See. Mord? Dafür fehlen seriöse Anhaltspunkte, also bleibt Selbstmord die gängigste und auch einleuchtendste These. „Von der höchsten Stufe des Lebens hinabgeschleudert zu werden in ein Nichts – das ertrage ich nicht“, erklärte der entmachtete Monarch zwei Tage vor seinem Tod.

Der deutsche Film „Ludwig II.“, der seit Mittwoch im Kino läuft, folgt der Selbstmord-These. Ludwig stirbt einen einfallslos verkitschten Tod, entschwebt im Wasser wie der Held von Luc Bessons Film „The Big Blue“. Wohin? Auf jeden Fall in die Freiheit, heraus aus den Fesseln der Realität – und seiner eigenen Moral. Im berühmten Ludwig-Film von Luchino Visconti frönte Ludwig als König des Ästhetizismus ungehemmt seinen – historisch unumstrittenen – homosexuellen Neigungen. Hier verzichtet er, unterdrückt verzweifelt seine Liebe zu Männern. Dass er diese Liebe als sündhaft empfunden hat, weiß man. Aber dass er deshalb Jungfrau geblieben ist, das ist ebenso romantische Erfindung wie dass er ein Leben lang in einen jungen Untergebenen verliebt gewesen sein soll.

Ein bayerischer Heiligenschein

Aber es gehört zum tragischen Heiligenschein, den die Regisseure Marie Noëlle und Peter Sehr ihrem Ludwig verpassen. Er stirbt an sich, an ungestilltem Liebesdurst, an der grausamen Wirklichkeit. Sehr gläubig war Ludwig, hier erscheint er manchmal geradezu Jesus-gleich, als ein „rex dolorosus“, der um jeden toten Soldaten weint. Der historische Ludwig hasste den Militarismus, hier wird er – nicht zum ersten Mal – zur Heilsfigur des modernen Pazifismus stilisiert. Bismarck dagegen verkörpert gegen das friedliche Bayern das böse, kriegerische Prinzip. Nach seinem Sieg in Königgrätz 1866 verliert Bayern die Souveränität. Ludwigs Bruder Otto ist verrückt geworden, im Film raubt ihm Bayerns Entmachtung den Verstand.

Das alles ist idealisiert, aber nicht lächerlich. Die Regisseure sind sichtlich Ludwig-Bewunderer, und sie bedienen mit ihrem Film bayerisch-katholische Patrioten. Sie bemühen sich aber auch, die dunklen Seiten von Ludwigs Charakter einzufangen: seinen Narzissmus, seine Egozentrik, seine abrupten Stimmungswechsel – und die Tragik eines jugendlichen Schwärmers, der mit 18 jäh zum Regieren gezwungen wird.

Insgesamt kommt der neue, sehr genau recherchierte Ludwig dem historischen sogar näher als in bisherigen Verfilmungen. Bemüht um historische Korrektheit, hantelt sich der Film brav an Fixpunkten in Ludwigs Leben vorwärts: Es beginnt mit dem Tod des ungeliebten Vaters, der den 18-jährigen scheuen Schwärmer in das verhasste, ihn überfordernde Regierungsgeschäft zwingt. Gleich danach rückt die Liebe zur Musik und zur Person Richard Wagners, den Ludwig nach München holt, ins Zentrum.
Seitenfenster öffnen sich zur Freundschaft mit der ebenfalls liberalen und auch sonst „seelenverwandten“ Cousine Elisabeth (Hannah Herzsprung als recht gewöhnlich wirkende Kaiserin Sisi). Die berühmte Ludwig-Verfilmung mit O. W. Fischer aus den 1950er-Jahren zeigt die beiden als unglücklich Liebende; hier teilt Sisi wie schon bei Visconti den Drang nach (politischer) Freiheit.

Sabin Tambrea: schön, fein, androgyn

Es geht weiter mit Ludwigs scheiterndem Versuch, sich zu einem konventionellen königlichen Sexualleben durchzuringen (seine Verlobung mit Cousine Sophie löst er nach einem halben Jahr wieder auf); mit vergeblichen Kriegsverhinderungsversuchen und dem zunehmenden Rückzug in Musiktheater- und Baufantasien. Wichtiges bleibt auch ausgeklammert, etwa Wagners Beziehung zu seiner späteren Frau Cosima von Bülow, die große Spannungen in seine Freundschaft mit dem König gebracht hat, oder Ludwigs Schweiz-Reise mit dem Schauspieler Josef Kainz – Thema des Films „Ludwig 1881“.

Es braucht keine großartige Regie, um einen ergreifenden Ludwig-Film zu machen. Die aus Wirklichkeit und Legenden gestrickte Figur ist so faszinierend, dass ein geeigneter Hauptdarsteller genügt, der sie mit Leben füllt. Und das ist Sabin Tambrea, ein bisher fast Unbekannter. Mit seinen schönen, feinen, androgynen Gesichtszügen erinnert er an den vom Erzähler begehrten Tadzio aus Viscontis Verfilmung von Thomas Manns „Tod in Venedig“. Tambrea ist so tief in die Ludwig-Figur eingetaucht, dass er sogar das lächerlich unhistorische, weil so unhöfisch heutige Gehabe und Gerede seines Umfelds – einschließlich Hannah Herzsprungs Sisi und Edgar Selges Wagner – vergessen lässt. Ohne ihn allerdings könnten auch noch so viele Neuschwanstein-Luftaufnahmen und „Lohengrin“-Klänge den Film nicht retten.

„Ein ewig Rätsel will ich bleiben“

So aber kann Ludwig – zum wievielten Mal? – rühren, ja erschüttern. Als Träumer, der rein sein will wie Lohengrin, vom Weltfrieden träumt, ewig ungestillt begehrt und aus seinen Luftschlössern Schlösser baut. Es ist bei aller Annäherung nicht der „wirkliche“ Ludwig, der bleibt, was er sich vorgenommen hat: „Ein ewig Rätsel will ich bleiben, mir und anderen.“ Aber der Ludwig, der seit Generationen menschliche Sehnsüchte bündelt, ist mindestens ebenso interessant.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.