"Lincoln": Eine Lichtgestalt in finsteren Zeiten

Lincoln Eine Lichtgestalt finsteren
Lincoln Eine Lichtgestalt finsteren(c) Centfox
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Mit "Lincoln" schildert Steven Spielberg den Kampf des historischen Präsidenten um die Abschaffung der Sklaverei als Gleichnis auf Obamas erste Amtszeit.

Es beginnt wie eine Selbstparodie: Nach einer kurzen Bürgerkriegsschlachtszene zeigt Steven Spielbergs „Lincoln“ den Titelhelden als väterlichen Zuhörer bei seinen Soldaten. Den Klagen schwarzer Rekruten lauscht er ebenso wie weißen Kämpfern, die ihm zuletzt seine berühmte Gettysburg Address rezitieren – als stünde die schon lange auf dem Schullehrplan. Die Körpersprache der Soldaten, und wie sie reden, hat mit dem 19. Jahrhundert nichts zu tun: Es ist in jeder Hinsicht ein Einfall der Gegenwart in die Vergangenheit.

Danach kann es mit „Lincoln“ nur bergauf gehen (tut es auch – bis zum sentimentalen Schluss), aber die Szene ist emblematisch für Spielbergs Absichten und Probleme: US-Präsident Lincoln ist längst zum Mythos geworden. Damit spielt Spielberg – das belegt schon der Titel, der irreführenderweise nach einer lebensumspannenden Filmbiografie klingt. Es geht nur um Lincolns letzte Monate und dabei fast exklusiv um seine rechtzeitige Durchsetzung des „13th Amendment“: Den Zusatzartikel zur Verfassung, mit dem die Sklaverei im Gesamtgebiet der USA abgeschafft wurde, wollte Lincoln unbedingt vor dem nahenden Bürgerkriegsende verabschiedet wissen.


Obama-Schlüsselfilm. Dieser Schwerpunkt betont aktuelle Parallelen: Die Probleme des von Daniel Day-Lewis gespielten Film-Lincoln sind jenen des derzeitigen US-Präsidenten Barack Obama nur zu ähnlich. Man kann „Lincoln“ als Schlüsselfilm über Obamas erste Amtszeit sehen: ganz direkt mit der mühsamen Installation von „Obama-Care“ durch präsidiale Macht als Äquivalent zu Lincolns Taktiken, um den dreizehnten Zusatzartikel durchzubringen – oder, weiter gegriffen, mit Fragen nach dem Umgang mit einer zutiefst gespaltenen Nation und vor allem, inwieweit der Zweck die Mittel heiligt, gerade im „War on Terror“.

Dessen Auswirkungen beschäftigten Spielberg schon zuletzt, ob als Science-Fiction-Alptraum mit 9/11-Anklängen wie in „War of the Worlds“ oder im direkten Rückgriff auf Terrorhistorie im zwiespältigen Rachefilm „München“, dessen Drehbuch bereits der gefeierte US-Dramatiker Tony Kushner („Engel in Amerika“) schrieb.

Kushner zeichnet auch für das „Lincoln“-Drehbuch verantwortlich, laut Abspann „teilweise basierend auf ,Team of Rivals: the Political Genius of Abraham Lincoln‘“ von Doris Kearns Goodwin. Die Rechte an Goodwins preisgekrönter historischer Studie (sie erhielt u.a. 2005 den Lincoln Prize für das beste Buch mit Bürgerkriegsthema) hat sich Spielberg Jahre vor deren Veröffentlichung gesichert. Den 900-Seiten-Wälzer haben Kushner und Spielberg mit gewissen historischen Freiheiten interpretiert, um sich dem bewährten Spielberg-Gefühlskino zu verschreiben: Kushners erste Drehbuchfassung war lang genug für eine TV-Miniserie. Spielberg beschloss, dass der Spannungsbogen rund um den Gesetzesbeschluss die geeignete Basis für einen abendfüllenden Spielfilm wäre.

Der dauert noch immer zweieinhalb Stunden und überrascht mit einiger Zurückhaltung – im Zentrum stehen die zähen Verhandlungen, in denen Lincoln und seine Gewährsmänner mit taktischen Versprechungen und korrupten Deals auf Stimmenfang gehen. Auch in Lincolns Privatleben zeigt Spielberg die Streitereien mit der psychisch angeknacksten Gattin Mary (vielgelobt, aber bemüht: Sally Field). Doch das ist auch Teil von Spielbergs Gefühlskinomaschinerie: Im Wesentlichen ist „Lincoln“ eine Abfolge kunstvoll komponierter Tableaus in düsteren Innenräumen, während Lichtstrahlen durch die Fenster fallen, um den silhouettierten Präsidenten zu umkränzen. Spielbergs Stammkameramann Janusz Kaminski müht sich sichtlich um die mythische Dimension in jeder Einstellung, was den Film in artistischer Anstrengung erstarren lässt.


Legendenfigur Lincoln. Aufgesprengt wird das Wechselspiel aus langen Debatten und simpler Bildmetaphorik (die Lichtgestalt Lincoln bringt Emanzipation in die finstere Welt der Sklaverei) immer wieder vom genüsslich aufspielenden Tommy Lee Jones, der als Hauptgegner der Sklavenhalterei alle guten Sager kriegt – und dem es zuletzt vergönnt ist, die einzige wirkliche Überraschung des Films zu präsentieren. Und zwar nach der großen Abstimmung, bei der – wenn soviel verraten werden darf – die Abschaffung der Sklaverei beschlossen wird. Um keinen Zuseher unnötig zu verwirren, lässt Spielberg beim entscheidenden Countdown General Grant jede Stimme mitzählen, alldieweil Lincoln nobel in absentia verharrt: Zu profan wär' solch ein Interesse für diese Legendenfigur.

Bei allen politisch korrekten Brechungsversuchen hat Spielberg dem Mythos nichts hinzuzufügen. Der gewitzteste Einfall des Skripts ist, dass selbst Lincolns Mitarbeiter von seiner ausgeprägten Neigung zur gleichnishaft ausufernden Anekdote manchmal auf die Palme gebracht werden. Sonst ist dies nach „Gefährten“ ein erträglicherer Eintrag in die Spielberg-Phase von Verbeugungen vor Hollywood-Meisterregisseur John Ford, dessen „Young Mr. Lincoln“ 1938 Henry Fonda in der Titelrolle hatte: als Anwalt, der etwa mit Bauernkalenderweisheit die ersten Schritte in Richtung mythischer Größe unternahm. Bei Spielberg ist die schon zementiert, auch wenn Daniel Day-Lewis mit beeindruckender Verbissenheit einen historischen Lincoln zu porträtieren sucht – und dabei lustigerweise an Charakterkopf-Übertreiber des 1930er-Kinos wie Al „Fuzzy“ St. John erinnert, der in Billigwestern wie „Fuzzy und der Peitschenheini“ Erfolge feierte. Vielleicht hätte er im anderen Sklaverei-Film mitspielen sollen, der zur Zeit im Kino läuft: Tarantinos „Django Unchained“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2013)

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