Filmporträt: Die Glut der „Hannah Arendt“

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Mit „Eichmann in Jerusalem“ machte sie sich die Welt zum Feind: Der Film „Hannah Arendt“ zeigt den Ein-Frau-Kampf der großen Denkerin, mit einer sinnlich-souveränen Barbara Sukowa.

Wie rücksichtslos, wie unerträglich darf die Wahrheit sein? Hannah Arendt hätte wohl erwidert: So rücksichtslos und unerträglich, wie sie sein muss, um noch wahr zu sein. Als Adolf Eichmann 1960 in Argentinien entführt und nach Israel gebracht wurde, riss sie sich darum, beim Prozess dabei zu sein. Sie, die Jüdin, die selbst vor den Nazis bis in die USA flüchtete und nach dem Krieg ein monumentales Werk über die „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ schrieb, hatte noch nie einen hohen Nazi-Funktionär von Angesicht zu Angesicht gesehen. Eichmann galt als Organisator der „Endlösung“. Sie wollte verstehen, wie dieser Mann tickte.

Das Ergebnis war intellektueller Sprengstoff. Arendt zeichnete ein völlig anderes Bild von Eichmann als jenes, das der Weltöffentlichkeit vorgeschwebt war: Statt der Inkarnation des Bösen präsentierte sie einen „Hanswurst“, einen „normalen“ subalternen Bürokraten, der nicht einmal so recht antisemitisch sei. Das passte nicht in das Schema der dämonischen Nazis, mit dem man den Holocaust wenigstens ansatzweise zu verstehen versuchte. Noch mehr Empörung aber schlug der Philosophin entgegen, weil sie die Kooperation der Judenräte im Dritten Reich kritisierte. Nur dadurch sei die Vernichtung so reibungslos abgelaufen.

Zu lesen war das in fünf langen Artikeln im „New Yorker“ (erst danach wurde ein Buch daraus). Nur die wenigsten wohl, die über Arendt herfielen, kannten aber mehr als ein paar Zeilen, die oft auch noch stark verzerrt durch die Medien gereicht wurden.

Jahrelang geschmäht und bedroht

Der Film „Hannah Arendt“ der deutschen Regisseurin Margarethe von Trotta konzentriert sich auf wenige Jahre rund um den Prozess und das Buch „Eichmann in Jerusalem“. Gezeigt wird etwa das tosende Meer aus Unverständnis und Hass, das gegen die New Yorker Wohnung brandet, in der Arendt in inniger Zuneigung mit ihrem sympathischen Ehemann (Axel Milberg) lebt. Schmäh- und Drohbriefe überschwemmen ihren Schreibtisch. Andere würden zurückrudern, sie denkt nicht daran, sie habe ja nur die Wahrheit gesagt. Selbst beste Freunde, der Philosoph Hans Jonas (im Film Ulrich Noethen) oder der Zionist Kurt Blumenfeld (Michael Degen), wenden sich von ihr ab. Doch was in der so arg Gebrandmarkten vorgeht, lässt sich nur erahnen. Die Philosophin bewahrt ihre leichtherzige Contenance.

Und raucht und raucht und raucht. Barbara Sukowa hüllt sich auf dem Diwan liegend in Qualmwolken und lässt sich beim Denken zuschauen, während sie die Zigarette hält wie ein Künstler den Pinsel. Schon vor 26 Jahren beeindruckte Sukowa als Rosa Luxemburg in einem Trotta-Film, auch diesmal füllt sie ihre Rolle auf ganz eigene Weise. Sie gibt sich recht anders, als man Arendt aus Videos kennt, ihre Bewegungen, ihre Stimme haben etwas edel Verhaltenes, harmonisch Fließendes, allein dem zuzuschauen ist ein sinnlicher Genuss, nur der Inhalt der Sätze ist scharf und kantig.

Arendt habe in Wirklichkeit noch viel mehr geraucht, erzählt ein Neffe. Aber die Kettenraucherei hätte auch gut erfunden sein können. Sie wirkt auf heutige Zuseher wie ein Akt der Aufmüpfigkeit gegen eine Welt aus Rauch-, aber auch Sprach- und Denkverboten. „Hannah Arendt“ krankt allerdings am Problem jedes Philosophenfilms: Denken ist kein guter Filmstoff. Ohne die wunderbare Sukowa wäre der Film wohl zum Scheitern verurteilt, denn im Grunde ist er eine Abfolge von Gesprächen. Arendts Gedankenwelt der Philosophin kann trotzdem nur grob skizzenhaft vermittelt werden, die komplexen Streitfragen rund um ihre Behauptungen zum Holocaust werden kaum angerissen.

Wegweisende Analyse

Arendts Analyse der Nazi-Täter, verkürzt auf die Formel von der „Banalität des Bösen“, war wegweisend. Etliche ihrer Detailbehauptungen zu Eichmann freilich sind historisch nicht mehr haltbar, waren es teilweise schon damals nicht. Und die Härte ihrer Kritik am Verhalten jüdischer Funktionäre ist bis heute umstritten. Die Frage, wie recht Arendt hatte, ist im Film dennoch von vornherein entschieden, Margarethe von Trotta steht klar auf der Seite ihrer Heldin.

Das kann sie aus guten Gründen. Der Film zeigt Arendt nicht als Hüterin, sondern als Sucherin der Wahrheit. Der „unbedingte Wahrheitswille“, den ihr schon Karl Jaspers bescheinigte, ihr „Denken ohne Geländer“, wie sie selbst es formulierte, musste mit durchaus auch berechtigten oder zumindest verständlichen Gefühlen, Interessen und Rücksichten kollidieren, vor allem, weil in der Öffentlichkeit die Bereitschaft oder Fähigkeit zur Differenzierung fehlte. Weil sie die Anführer des Nazi-Regimes nicht als Monster sah, hieß es, sie entschuldige sie; weil sie die Kooperation der Judenräte kritisch beschrieb, hieß es, sie mache die Juden mitverantwortlich für ihre eigene Vernichtung.

Dabei holte sie nur die unbeschreiblichen Verbrechen in die Verantwortung jedes Einzelnen zurück. Eichmann weigerte sich zu denken, erklärt sie im Film den Studenten. Sie beschrieb den Determinismus totalitärer Systeme, appellierte aber eben deswegen, dass jeder seinen „begrenzten Raum der Freiheit“ nützen müsse. Diesen Maßstab legte sie an alle an, den jüdischen Funktionär wie das Rädchen im NS-Getriebe. Das größte begangene Böse war für Hannah Arendt das, „das von Niemanden getan wurde, das heißt, von menschlichen Wesen, die sich weigern, Personen zu sein“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2013)

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