"Spring Breakers": Disney-Girls im Garten der Lüste

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Mit „Spring Breakers“ präsentiert sich Harmony Korine als Hieronymus Bosch der Hip-Hop-Video-Ära: ein Meisterwerk über Spiritualität und Exzesskultur.

Wäre Hieronymus Boschs „Der Garten der Lüste“ ein Hip-Hop-Video, dann sähe er aus wie das Spaßterror-Tableau in der ersten Szene von Harmony Korines „Spring Breakers“: der Exzess der US-Frühlingsferien-Feiern am Strand von Florida in Superzeitlupe. Hunderttausende College-Jugendliche pilgern in der Semesterpause zum „Spring Break“-Ritual.

Ein, zwei Wochen Dauerfeier mit Alkohol und Drogen, Sex und Entgrenzung. Bis zur Besinnungslosigkeit. Die Kamera gleitet elegant an Scharen von Jungen und Mädchen (mit und ohne Bikini) vorbei, die sich mit Bier und Sonstigem bespritzen, in Posen, die zugleich wie Wunschbild und Parodie sexueller Handlungen sind. Mit umfunktionierten Flaschen und Bongs vor den Gesichtern legt die Szenerie Boschs bauchige Objekte und deformierte Wesen nahe: Der fette Elektro-Soundtrack erinnert auch an die Bezeichnung „die musikalische Hölle“ für einen Innenflügel von Boschs Triptychon.

Korines Inferno berauscht sich am bunten Konsumkulturexzess (Marken wie Coca-Cola, Medien wie MTV und selbst die U.S. Army haben längst das Marketingpotenzial des „Spring Break“-Phänomens entdeckt): Gerade Jugendliche aus dem konservativen „Bible Belt“ leben da aus, was daheim strikt verboten ist. Flucht zur Sonne, Jugendtraum von der eigenen Unsterblichkeit: Das wollen auch Candy (Vanessa Hudgens), Brit (Ashley Benson), Cotty (Rachel Korine, die Frau des Regisseurs) und Faith (Selena Gomez).

James Franco als Gangsta-Rapper

Weil es an Geld mangelt, überfällt das Quartett maskiert und hammerschwingend ein Lokal. Eine Kinofantasie: „Just fuckin' pretend it's a video game. Act like you're in a movie or something.“ Der Raub ist in einer Einstellung aus der Perspektive des das Gebäude umkreisenden Fluchtwagens gedreht, wie eine der berühmtesten Einstellungen des US-Krimikinos in Joseph H. Lewis' neurotischem Amour-fou-Noir-Film „Gun Crazy“ (1950).

Die Verkaufsversprechen von B-Filmen werden einem hier um die Ohren gehauen, bis zum Erbrechen, wie man so sagt (und öfters, nach Überkonsum, sieht): sex and crime, tits and ass. Bei der Florida-Party geht es von juveniler Jubelstimmung, bei der mit Eislutschern und anderem möglichst unanständig hantiert wird, bald ins Abgründige: Verhaftung und Befreiung auf Kaution – ein Gangsta-Rapper hat ein Auge auf die Bikini-Häschen geworfen. Der omnipräsente James Franco spielt diesen Hip-Hop-Satyr namens Alien, der mit Metallgebiss, Waffensammlung und Al Pacino als „Scarface“ in Flachbildschirm-Dauerschleife protzt und die verführbaren Mädchen auf die dunkle Seite ziehen will. Die in ebenso klassischer B-Picture-Manier nur die logisch perverse Kehrseite einer prüden und verlogenen Welt ist.

Die Fusion von „Spring Breakers“ könnten sich auch Marketingmenschen als Stunt ausgedacht haben: die blitzsauberen Disney-Prinzessinnen Hudgens und Gomez quasi-pornografisch gegen ihr Image besetzt, dazu Franco als Hype-Mensch der Stunde zwischen Starglanz und Kunstanspruch, angerührt von Harmony Korine, einem Enfant terrible seit seinem Drehbuch mit „Kids“, aber immer schon eines, das auch im verbürgerlichten Mainstream ankommt. Im Presseheft erklären sowohl Hudgens als auch Gomez, dass zuerst ihre als Agenten tätigen Elternteile vom Angebot Korines ganz begeistert waren: Die waren immer schon dessen Fans.

Hedonismus-Hammer? Popkultur-Vanitas!

Die kreiselnde Kamera und fluoreszierenden Farben besorgte der Franzose Benoît Debie, eingearbeitet durch Experimente für Regisseur Gaspar Noé, der ebenfalls gern als Skandalkünstler vermarktet wird. Dazu noch Musik von Soundscape-Spezialist Cliff Martinez („Drive“) und Star-DJ Skrillex. Ein geiles Paket, wie man in Vermarktungssprech sagen würde? Sogar der Hedonismus-Hammer! An der Oberfläche, jedenfalls. Die zerdehnt Korine aber in immer avantgardistischeren Schleifen zum Höllentrip, über dem das von Franco geknurrte Endlos-Mantra „Spring Break Forevah“ zusehends wie eine Echokammerwarnung hallt.

Denn „Spring Breakers“ ist als Popkultur-Vanitas zwar echt ein Bosch-Update, behandelt die Himmelsversprechungen des Entertainment-Zeitgeists, die seine Figuren antreiben, aber nicht abschätzig: Kaum etwas im jüngeren Kino ist so berührend wie Francos ganz ernsthafte Piano-Balladen-Version von Britney Spears' „Everytime“. Letztlich geht es ganz wörtlich um den freien Willen, durchexerziert am religiösen Mädchen, das Gomez spielt (und nicht zufällig Faith heißt), und darum, was im Exzess der Oberflächenkultur an Werten zu finden ist: Bei aller bewussten Ironie ist es Korine auch ganz ernst, wenn wiederholt das andere Mantra des Films erklingt: „This is the most spiritual place I've ever been.“ Es ist Korine vielleicht nur ganz instinktiv passiert: Doch mit „Spring Breakers“ hat er (s)ein Meisterwerk geschaffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2013)

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