„Take This Waltz“: Und Leonard Cohen brummt dazu

Take This Waltz
Take This Waltz(c) Polyfilm
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In Sarah Polleys süßem US-Film „Take This Waltz“ und der herben deutschen Urlaubsstudie „Formentera“ geraten Ehen in die Krise. Ab morgen im Kino.

Die britische Band The Buggles waren das One-Hit-Wonder der Musikvideo-Ära: Ihr Synthie-Pop-Evergreen „Video Killed the Radio Star“ war zwar nicht ihr einziger, aber doch ihr größter Erfolg, der allein im populären Gedächtnis blieb. Der Videoclip dazu wurde am 1. August 1981 um 0.01 Uhr als erstes Musikvideo auf MTV ausgestrahlt. Als es dort im Februar 2000 als millionstes MTV-Video wieder lief, war die Historisierung abgeschlossen: „Video Killed the Radio Star“ war Inbegriff dessen geworden, was darin ironisch besungen wurde.

In „Take This Waltz“, der zweiten Regiearbeit von Schauspielerin Sarah Polley, gibt es eine hinreißende Szene, als zwei Hauptfiguren – die verheiratete Margot (Michelle Williams) und ihr Nachbar Daniel (Luke Kirby), mit dem sich eine Affäre anbahnt – zu „Video Killed the Radio Star“ in einer Vergnügungsparkattraktion herumkreiseln. So eben, wie sie sich über der Richtung ihrer Anziehung noch uneinig sind. Aber wie das Lied dann doch vorausschauend versichert: Das Alte wird vom Neuen verdrängt werden.

Auftritt der Schandmaulkomödiantin

Das bringt ein Problem dieses angenehm verträumten, dennoch beiläufig kalkulierten Liebesfilms auf den Punkt: Der Zuseher hat nicht die Freiräume, die den Figuren sympathischerweise gegönnt sind. Beim Kennenlernen sagt Margot zu Daniel im Flugzeug: „Ich habe Angst vor Verbindungen... äh, in Flughäfen.“ Und bald wird ihr Flirt mit dem Rikschafahrer-Künstler Daniel zu etwas, was Margots Ehe mit dem exklusiv auf Hühnerrezepte spezialisierten Kochbuchautor Lou (demonstrativ, doch liebevoll zurückgenommen: Komiker Seth Rogen) bedroht.

Solche ostentativ originellen Charakterdetails, die bunten Farben, das märchenhaft getönte Toronto als Schauplatz und typische Musikmontagen (die Kamera kreiselt zur Zeitüberbrückung, Leonard Cohen brummt das Titellied) sind eine einschlägige Verkörperung dessen, was in den 1990ern als Independent-Kino zur Sundance-Marke wurde und der Bezeichnung zum Trotz nicht unabhängig ist, sondern ein Marktnischenprodukt: eine als alternativ ausgegebene, dabei doch kuschelig konventionelle Kinowelt, in der Menschen wie die sich als Broschürentexterin durchschlagende Schriftstellerin Margot und ihr Gatte mit seinem doch sehr eigenwilligen Beruf ein komfortables Loft mit schmucker Einrichtung bewohnen.

Dazu kommt Stunt-Casting wie die superbe Schandmaulkomödiantin Sarah Silverman als Margots Alkoholikerschwester, die fröhlich Ansagen serviert wie: „I look into the mirror, I want to fuck myself!“ Dass Silvermans Figur dennoch mehr hergibt, verdankt sich Polleys Gespür für emotional warme wie glaubhafte Schauspielerführung. Gerade Williams kriegt starke Szenen, etwa, als sie ihr Lächeln nicht entgleiten lassen will, während man ihr zu Daniels erotischem Monolog zusehen kann, wie sie erregter und erregter wird. Dass ihre Figur auch nicht als Ehebrecherin verurteilt wird, zeigt wie zuvor Polleys Alzheimerdrama „Away from Her“ deren Ambition, Geschichten von hilflos auseinandertreibenden Beziehungen mit etwas mehr Finesse als üblich zu erzählen.

Vom Auseinandertreiben erzählt auch der deutsche Urlaubsfilm „Formentera“ von Ann-Kristin Reyels: Ein junges Ehepaar (Sabine Timoteo, Thure Lindhardt) tritt auf der titelgebenden Insel den ersten kinderlosen Urlaub an und gleitet in die Krise. Auch hier gibt es einen beziehungsbedrohenden Flirt (diesmal seitens des Mannes) – und in der besten Szene des Films einen Nachtschwimmerausflug ins benachbarte Ibiza. Die folgende Wendung prägt Europas Kunstkino seit Michelangelos Antonionis Klassiker „L'avventura“ (1960). Dieser Tradition ist die eher auf Stimmungen und bedeutungsvolle Blicke denn Dialoge setzende Entfremdungsstudie auch näher als Maren Ades „Alle anderen“ trotz Vergleichen wegen der Urlaubsbeziehungskiste. Und damit ist „Frontera“ ein herbes Euro-Produkt-Pendant zu Polleys süßerer US-Independent-Packung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2013)

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