„Side Effects “: Handwerk statt Hitchcock

Side Effects Handwerk statt
Side Effects Handwerk statt(c) Senator
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Medikamententherapie mit mörderischen Folgen: Steven Soderberghs Krimi über die Korruption der Pharma-Lobby fehlt das Gefährliche. „Side Effects“ wirkt mühelos und zurechtgeschliffen. Ab Freitag im Kino.

Alfred Hitchcock musste schon für vieles herhalten: Jeder zweite Thriller-Regisseur baut in seinen Spannungsentwurf Referenzen an den britischen Edelfilmer ein, zumeist allerdings ohne auch nur in den Nahbereich von dessen obsessiven Kinowelten zu kommen. Jetzt ist es das US-Regiechamäleon Steven Soderbergh, das den Hitchcock'schen Suspense-Begriff zum Unterboden seines aktuellen Films „Side Effects“ macht. Ein Kameraflug auf ein Fenster zu zitiert die bekannte Eröffnungssequenz aus „Psycho“, die Figurenkonzeption erscheint wie ein Reißbrett-Tribut an den Meisterregisseur und das Drehbuch ergeht sich in saftigen Psychopathologien.

Mit dem Auto gegen den Wand

Die gläsernen Fronten und schicken Wohnungen, die geordneten Leben und prozesshaften Verrichtungen darin sind die Oberflächen, die schrittweise – zuweilen auch schnellen Schritts – abgetragen werden. Ins Zentrum der Spannungsschraube eingespannt ist die junge Emily (Rooney Mara): Seitdem ihr Mann (Channing Tatum) vor vier Jahren ins Gefängnis gesperrt wurde, leidet sie unter Depressionen. Als sie kurz nach seiner Entlassung ihr Auto gegen eine Wand steuert, überzeugt ihr Therapeut (Jude Law) sie, experimentelle Psychopharmaka zu schlucken.
Das Medikament schlägt an und Emilys Leben scheint sich wieder einzurenken. Eines Tages aber wacht sie auf und findet ihren Mann erstochen in der Wohnung vor. Die Ermittlungen kommen schnell zu einem eindeutigen Ergebnis: Emily soll ihn ermordet haben.

Wie viele andere Filme von Steven Soderbergh ist auch „Side Effects“ nur so interessant wie das Thema, das er verhandelt: die beliebige Verschreibung von starken Psychopharmaka an depressive Patienten, die Korruptheit der Pharma-Lobby, und wie sich all das mit den Fallhöhen von klassischem Thriller-Personal verträgt. Tatsächlich produziert das konzentrierte, nüchterne Drehbuch von Scott Z. Burns einige ansehnliche Spannungskurven, enttäuscht letztendlich allerdings mit einer hanebüchenen, unangenehm auf Retro-Sentiment frisierten Auflösung.

Dass „Side Effects“ insgesamt nicht funktioniert, liegt aber allein an Steven Soderbergh. Sein Flirt mit naturalistischer Ästhetik und seine Präferenz für eine protokollarische Dramaturgie lassen die sorgfältige Architektur dieses Thrillers ebenso in sich zusammenfallen wie schon zuletzt die seiner Martial-Arts-Fingerübung „Haywire“. „Side Effects“ wirkt mühelos und zurechtgeschliffen, ein nach allen Ecken und Enden hin geschlossener Film, dem eben das fehlt, was Hitchcock so groß gemacht hat: ein Fetisch, der aus den perfekten Oberflächen herausleuchtet, der gefährlich erscheint, pervers sogar und die Geschichte mit Seele füllt. Soderberghs Film ist aber nicht das Werk eines Manischen, sondern das Ergebnis eines Verrichtenden.

Ein Schwanengesang mit Liberace

Vielleicht ist das nur logisch, wenn man bedenkt, dass Steven Soderbergh seine Filmemacherkarriere nach diesem Jahr an den Nagel hängen wird, weil er meint, der Kunstform keine neue Facetten mehr abringen zu können, alles schon erzählt zu haben. Immerhin darf man aber darauf hoffen, dass sein Schwanengesang etwas gewagter daherkommen wird als „Side Effects“: Im Fernsehfilm „Behind the Candelabra“, der in wenigen Wochen beim Filmfestival in Cannes seine Uraufführung haben wird, inszeniert er Michael Douglas als Glitter-Gott Liberace, während Matt Damon mit herzzerreißender Perücke dessen Partner geben darf.

Soderbergh verabschiedet sich von der Filmwelt mit dem Porträt eines entrückten Künstlers und Selbstdarstellers – und mit dem Traum eines verzückten Bürokraten, der irgendwie ahnt, dass er am Kino gescheitert ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2013)

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