"Fliegende Liebende": Orgie in der Luft

(c) Paola Ardizzoni/Emilio Pereda
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Neuer Film von Pedro Almodóvar. In "Fliegende Liebende" zeigt der spanische Meisterregisseur ein vom Absturz akut bedrohtes Flugzeug als Sinnbild für Spanien in der Krise. Herzig und wild. Ab Freitag im Kino.

Wie verhält man sich in einem Flugzeug, von dem man weiß, dass es in den nächsten 90 Minuten eine Bruchlandung vollführen wird? Kommt man an den Rand des Nervenzusammenbruches? Darüber hinaus? Beginnt man zu beten? Ruft nach der Mutter? Oder nimmt man noch rasch teil an einer spontanen Orgie? Es wäre nicht unwahrscheinlich, dass manche Passagiere sich aufführten wie in einem frühen Film des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar. Dieser demonstriert jedenfalls in seinem neuen Werk „Fliegende Liebende“, wie es sein könnte, wenn nicht nur Flug PE 2549 der fiktiven Gesellschaft Peninsula vor dem Crash steht, sondern mit ihm ein ganzes Land.

Dabei hat Almodóvar die volle Unterstützung toller Komödianten. „Los Amantes Pasajeros“ ist kein Absturz, sondern eine zügellose Hommage an Screwball Comedies, eine Persiflage der Achtzigerjahre und somit auch seiner eigenen frühen Filme. (Die passende Musik hat Alberto Iglesias arrangiert.) Schrill, aber fast schon altersmilde ist der Meisterfilmer. Man könnte diese Kombination als seicht missverstehen. Sie ist aber nicht nur in der Ausstattung raffiniert. Klaustrophobisch eng wirkt der Raum in diesem Kammerspiel, oft konzentriert sich die Einstellung auf die winzige Kombüse, von der alles Menschliche verfremdet rauskommt.

Mit Leichtigkeit spielt dieses Team über Plattes und Vulgäres hinweg, so kommt man heiter zum wahren Ernst des Lebens. Scheinbar oberflächlich wird die Tiefe von Liebe und Tod ergründet. Ein bisschen erinnert das an Mozart, der neben der Jupitersinfonie auch kleinere Stücke wie „Im Arsch ist's finster“ komponiert hat. Almodóvar zeigt uns mit deutlichem Mittelfinger vor: So machen's alle. Sein Film kommt daher wie eine Seifenoper, allerdings ist er in den Dialogen zumindest im Original anspielungsreich wie Oscar Wilde oder zumindest Noël Coward. Sinnbildlich geht es um Spanien in der Krise.

Die Economy-Class kriegt nichts mit

Was ist geschehen? PE 2549 soll von Madrid nach Mexico City abheben. Doch ein Pärchen vom Bodenpersonal (Antonio Banderas und Penélope Cruz in winzigen Gastrollen) ist für einen Moment abgelenkt: Sie baut mit dem Gepäckwagen einen kleinen Unfall, gesteht ihm dann, dass sie schwanger sei. Er vergisst daraufhin, Bremsklötze zu entfernen. So unauffällig beginnen große Tragödien. Statt über den Atlantik zu fliegen, kreist der Jet über Toledo. Die Passagiere der Economy-Class ahnen nichts vom Drama. Das Volk bleibt ignorant. Die Stewardessen haben sie mit Drinks in den Schlaf versetzt. Nur vorn, von einem theatralisch roten Samtvorhang abgetrennt, wissen die Crew und bald auch die Businessclass von der bevorstehenden Katastrophe.

Das also ist die bessere Gesellschaft Spaniens: ein bisexueller Kapitän, ein fescher Kopilot, der noch gar nicht richtig weiß, dass er nicht hetero-, sondern homosexuell ist, und drei richtig schwule Stewards: Ein ernster Flugbegleiter leidet seit einem Schock unter dem Zwang, immer die Wahrheit zu sagen, ein hübscher lebt in vollen Zügen, ein dicklicher sublimiert ersehnte Sünde durch Gebete vor einem transportablen kleinen Altar. Javier Cámara, Raúl Arévalo und Carlos Areces sind das Herzstück dieser süßen Operette. Auch die sieben Fluggäste zeigen die Society in knallbunten Facetten: ein untreuer Fernsehstar, von dem aus die Geschichte seiner Ex- und ihrer selbstmordgefährdeten Nachfolgerin kurz in fantastischer Koinzidenz nach Madrid führt. Ein geiles junges Paar, eine dominante Escort-Service-Chefin (Cecilia Roth), ein Auftragskiller, eine Jungfrau mit prophetischen Gaben (Lola Dueñas) und ein korrupter Banker auf der Flucht.

Die Stewards singen „I'm so excited!“

Er wird der Einzige bleiben, der später, hoch in den Lüften, keinen Sex hat. Denn all die anderen reagieren im Finale enthemmt. Die trinkfesten Stewards verabreichen ihnen Valencia-Wasser, einen Punsch aus Champagner, Fruchtsaft, Wodka, Gin und Mescal, den der junge Ehemann in einem Kondom im Unterleib für eine aufregende Hochzeitsreise mitgeschmuggelt hat (der Film hat einige unappetitliche Enthüllungen). Mit den scharfen Drinks kommen erst einmal Beichten und dann Action. Nur noch das Bordtelefon funktioniert. Weil es einen leichten Defekt hat, hören alle vorn mit, wenn in kurzen Kontakten zur Erde unten Abschiede zelebriert werden. Oben aber wird es so orgiastisch, wie das gerüchteweise bei Flugpersonal üblich sein soll.

Und die Stewards? Die dürfen zum Disco-Hit „I'm so excited!“ von den Pointer Sisters tanzen und singen. Große Show zwischen Cockpit, Kombüse und exklusivem Fahrgastraum, den Almodóvar unauffällig verkitscht in Blau, Rot und Rostbraun gestalten ließ. Ein komplettes Flugliniendesign wurde entworfen. Gedreht aber wurde an einem realen, gigantischen Geisterflughafen in der Mancha, der (wie gut ein Dutzend weitere in Spanien) gar nicht erst in Betrieb ging. In raschen Schnitten werden die Hallen aus Glas und Beton gezeigt, während aus dem Off Geräusche zu hören sind, als schabe ein Jet über den Asphalt der Landebahn. Zumindest in diesen Details ist der herzige, herzliche, hinterfotzige Film voll aus dem Leben gegriffen, selbst wenn im Vorspann beteuert wird: alles erfunden. Der König war also nie bei einer Domina, die Baubranche ist nicht korrupt, und alle Pilotenfrauen warten zu Hause treu auf die Rückkehr ihres Gatten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2013)

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