„Inside Llewyn Davis“: Erniedrigt im Schatten von Bob Dylan

Inside Llewyn Davis, Coen-Brüder
Inside Llewyn Davis, Coen-Brüder(c) Studiokanal/ Alison Rosa
  • Drucken

Mit ihrem Werk mäandern die Coen-Brüder durch New Yorks Sixties-Folkszene. Gewohnt sarkastische Pokerface-Präzisionsarbeit. Oscar Isaac überzeugt als nicht nur vom Schicksal geschlagener Sänger.

Ein trauriger Folk-Klassiker dient als ironische Einstimmung: „Hang me, oh hang me“, singt Llewyn Davis, der Titelheld dieses Films, im New Yorker Gaslight Café im Frühwinter 1961. Gehängt wird der Musiker dann zwar nicht – aber kaum verlässt er die Bühne des Beatnik-Kellerlokals, wird er in der Gasse dahinter grundlos von einem Cowboy attackiert und getreten. Genau in der Szene sehen die Macher von „Inside Llewyn Davis“, die Regie-Brüder Joel und Ethan Coen, freilich den Grund für ihren Film: Er sei inspiriert vom „Bild eines Folksängers, der hinter einem Folkclub im East Village zusammengeschlagen wird“.

Natürlich gehört das zum sarkastischen Pokerface-Spiel, das die Coens auf sowie abseits der Leinwand perfektioniert haben: Als Beweggrund für ihren erklärtermaßen persönlichsten Film, „A Serious Man“, nannten sie „den Spaß, sich neue Arten auszudenken, wie wir unsere Hauptfigur quälen konnten“. Vielleicht daher wurde „Inside Llewyn Davis“ heuer bei der Cannes-Premiere im Mai – der Film erhielt den großen Preis der Jury – vom Großteil der Kritik als warmherziges Werk gefeiert: Seit Jeff Bridges 1998 den Titelhelden in „The Big Lebowski“ gespielt hat, haben die Coens keiner Hauptfigur so viel Sympathie gegönnt wie ihrem glücklosen Folksänger Llewyn Davis – jedenfalls eine Durchbruchsrolle für Oscar Isaac, der auch seine Songs einfühlsam selbst interpretiert.

Starparade mit Justin Timberlake

Dafür sind die Nebenfiguren eine charakteristisch-karikaturistische Coen-Starparade, die von ihren Erfindern in deren absurdem Theater der Grausamkeit amüsiert malträtiert wird: John Goodman als genüsslich widerlicher Junkie-Jazzer, Justin Timberlake als ostentativ naiver Sängerkumpel oder Casey Mulligan als dessen unflätig keifende Frau, die obendrein behauptet, von Davis schwanger zu sein. Am besten steigt im ganzen Film eigentlich die Katze eines anderen Freundes aus, deren Entlaufen Davis ebenfalls verschuldet und die er über geraume Laufzeit wieder zu fangen versucht. Die Coens haben sie eingebaut, um davon abzulenken, dass „der Film eigentlich keine Handlung hat“.

Das (tatsächlich entzückende) Tier hört bezeichnenderweise auf den Namen Ulysses – nicht etwa der Held, dem die depressive Odyssee mit aberwitzigen Einlagen bevorsteht. Aus der New Yorker Folkszene, in der der mittel- wie erfolglose Davis von einer Couch bei Freunden zur nächsten zieht, geht es bis Chicago: Dort wartet F. Murray Abraham als Club-Betreiber namens Grossman (deutlich inspiriert von Bob Dylans Manager Albert Grossman), um die durchaus denkwürdige Davis-Darbietung einer traditionellen britischen Ballade grob und knapp zu kommentieren: „I don't see a lot of money here.“

Auch dahinter steckt natürlich Coen-Ironie: Der Film ist um die Abwesenheit von Bob Dylan strukturiert, der nur zu hören ist – recht absehbar läuft es auf einen Namedropping-Gag à la Woody Allen hinaus. Erst Dylans Ankunft 1961 krempelte die New Yorker Folkszene entscheidend um und etablierte das Singer-Songwriter-Modell: Die Tragödie von Llewyn Davis ist auch, dass er sich resolut gegen den sellout sperrt, bevor es überhaupt etwas auszuverkaufen gibt. Seine Erniedrigung wird implizit durch Dylans Riesenerfolg vergrößert. Trotzdem gönnen sich die Coens noch die Szene, wo Davis den katatonischen Vater im Altersheim besucht, um ihm ein Ständchen darzubringen – woraufhin sich Papa prompt in die Hosen macht.

Kosmischer Spott und Weltraumhit

Als Zielscheibe kosmischen Spotts – oder doch desjenigen seiner Schöpfergötter? – ist Davis eine typische Coen-Loserfigur, wiewohl er an den echten Sänger und Dylan-Förderer Dave Van Ronk angelehnt ist. Dessen Autobiografie war anekdotische Basis für eine Geschichte, die träg durch bewölkt-winterliche Stimmungen mäandert, die erst wieder auf Dylan verweisen – nämlich auf das Cover der LP „The Freewheelin' Bob Dylan“.

Freilaufend fühlt sich der ziellose Weg von Davis aber nicht an: Er ist ein weiterer Gefangener des Coen-Universums, in dem hier immerhin (wie in „O, Brother Where Art Thou?“) echte Liebe zur Musik aufblitzt: vom liebevoll parodierten Novelty-Hit („Uh oh, Mr. Kennedy! Please don't send me to outer space!“) zu seriöseren Songs, bei denen Davis in kleinen Clubs sein Herz ausschüttet. Auch wenn sein Sound nach Studioreinheit klingt: Selbst da waltet der wasserdichte Perfektionismus, mit dem die Coens ihre sarkastischen Schicksalskomödien zimmern.

DIE MACHER UND DAS VORBILD

Die Coen-Brüder Joel (*1954) und Ethan (*1957) etablierten sich 1984 mit ihrem Regiedebüt „Blood Simple“ in der US-Independentfilmszene. Mit dem Cannes-Sieger „Barton Fink“ (1991) kam der große Durchbruch, es folgten Oscar-Gewinner wie „Fargo“ (1996) oder „No Country for Old Men“ (2007). „Inside Llewyn Davis“ ist der 16. Spielfilm der Coens.

Dave Van Ronk (1936–2002) war entscheidend für das 1960er-Revival von Folk und Blues in New Yorks Szene, er förderte u.a. Bob Dylan und Joni Mitchell. Van Ronks Spitzname war „The Mayor of MacDougal Street“, so hieß auch seine posthum publizierte Autobiografie, die den Coens als Quelle diente.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.