„Jung & schön“: Escortservice-Entwicklungsroman

„Jeune & jolie“
„Jeune & jolie“ Filmladen
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François Ozons Film schildert wertungsfrei, wie sich ein Mädchen aus gutem Haus heimlich prostituiert: versiert, aber als Debattenbeitrag völlig ungeeignet.

Während in Frankreich das Verbot von käuflichem Sex für Aufregung sorgt, läuft ein französischer Film zum Thema in hiesigen Kinos. François Ozons „Jung & schön“ – der Originaltitel „Jeune & jolie“ verweist auf ein französisches Monatsmagazin für junge Frauen – erzählt einen tendenziell kontroversen Entwicklungsroman: Die 17-jährige Isabelle (gespielt vom 22-jährigen Exmodel Marine Vacth, ideal besetzt als indifferenter Blickfang) schlägt heimlich eine Karriere als Prostituierte ein. In der Heimat wurde der Film im Vorfeld des Verbotsgesetzes auch kurz kontrovers debattiert, aber er ist dafür denkbar ungeeignet, weil er auf wertungsfreier Distanz beharrt.

Schon die erste Einstellung zeigt Isabelle am Strand im Visier eines Fernglases, durch das ihr kleiner Bruder blickt. Ozon annonciert eine Studie über Voyeurismus und zu Fragen der Perspektive, serviert in den makellosen Oberflächenbildern, die ihn zum Arthouse-Kinoliebling gemacht haben. Unter der Oberflächlichkeit insinuiert Ozon freilich wie so oft Rätselhaftes: ein Warum, das er nicht zu beantworten gedenkt. Man könnte auch folgern: Das Geheimnis von Ozons Kino ist sorgfältig (ein)studierte Geheimnislosigkeit.

„Belle de Jour“ wird zitiert

Seine Heldin begleitet er durch vier Jahreszeiten, vier Chansons von Françoise Hardy (und ein Rimbaud-Gedicht) liefern dazu mehr stimmungsvolle Untermalung als analytischen Kommentar. Es beginnt im Sommer, beim Wohlstandsfamilienurlaub an der Côte d'Azur. Isabelle gibt ihre Jungfräulichkeit einem deutschen Touristen hin: Das Meer rauscht, plötzlich sieht sich eine zweite Isabelle selbst beim Akt zu. Solche surrealen Irritationen, minimal gesetzt, beschwören Luis Buñuels Klassiker „Belle de Jour“ (1966), in dem Catherine Deneuve als Bürgersfrau bei der Bordellarbeit Erfüllung fand. Ozon zitiert sogar Szenen.

Aber Buñuels beiläufige Subversion wird in der Ozon-Version zur kühlen Kalkulationstabelle. Wie die aktuelle Doris-Lessing-Verfilmung „Tage am Strand“ mit ihren überkreuzten Mutter-Sohn-Affären vor Meeresidyll belegt der Film, dass sich Tabubruch heute offenbar vor allem als skandalöse Würze für glattes Schauwertkino eignet. Das macht Ozon wieder versiert, bald fragt man sich bei aller gebotenen Wertschätzung für Françoise Hardy aber eher mit Udo Jürgens: „Warum nur, warum?“

So schlüpft Isabelle im Herbst kurzerhand in teure Kostüme, besucht per Webauftritt angelockte Kunden. Trocken verzeichnet Ozon die Begegnungen, ob erniedrigend oder zärtlich. Bis ein älterer Herr Isabelle näherkommt und (im Winter) beim Beischlaf stirbt. Ihr Escortgeheimnis fliegt auf, die Eltern sind entsetzt: Schande! Für Ozon auch nur eine Frage der Perspektive. Der Frühling bringt vorerst einen festen Freund für Isabelle, die Sicherheit der wiederhergestellten Ordnung bleibt aber ebenso fraglich. Also noch ein großer Gastauftritt für Charlotte Rampling – um auch keine Antwort zu geben. (hub)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2013)

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