„All is Lost“: Der alte Superstar und das Meer

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In J. C. Chandors minimalistischem Drama brilliert ein (fast) wortloser Robert Redford als einsamer Segler in Seenot. Klassisches Kino als bemerkenswerter Beitrag zur derzeitigen Hollywood-Welle: Überleben, USA. Läuft ab Freitag.

Robert Redford hat keinen Namen in diesem Film: Schlicht „Our Man“ nennt der Abspann den mittlerweile 77-jährigen Star, und er ist schon deshalb unser Mann, weil es keine anderen Figuren gibt in J. C. Chandors „All Is Lost“, einem ungewöhnlich minimalistischen Überlebensdrama, das auf dem indischen Ozean spielt, aber auf jeder See stattfinden könnte. Der alte Mann und das Meer: Chandors Film fügt sich sowohl in eine lange literarische Tradition – Hemingway, „Robinson Crusoe“, Jack London, Joseph Conrad – wie er in die aktuelle Welle von Hollywoodfilmen passt, in denen die Helden tödlichen Gefahren trotzen. Ob der natürlichen Bedrohung allein auf hoher See wie hier oder zuletzt in Ang Lees „Life of Pi“, ob im Weltraum wie in „Gravity“, aber auch menschlichen und gesellschaftlichen Gewalten – von somalischen Piraten in „Captain Phillips“ über südamerikanische Regenwald-Kannibalen in „The Green Inferno“ zum historischen System Sklaverei in „12 Years a Slave“: Überleben, USA.

Nur zwei Funksprüche und ein Fluch

„All Is Lost“ konzentriert sich dabei völlig auf den elementaren Charakter des einsamen Kampfes: Den unheilverkündenden Titel bezieht der Film aus seiner einzigen Monologpassage, gleich zu Anfang – eine Botschaft, deren Adressaten unbekannt bleiben. Redfords Figur verabschiedet sich von ihnen und entschuldigt sich: Er hätte alles versucht, nun sei alles verloren. Das Bild dazu ist dunkel, dominiert von den Umrissen eines treibenden metallischen Objekts. Es wird gleich zu erkennen sein, als die Handlung – „acht Tage vorher“ – einsetzt: ein Seefracht-Container, der ein Leck in die Segeljacht des Mannes geschlagen hat. Das hereinströmende Wasser weckt ihn, die Geräte sind beschädigt. Wortlos beginnt er mit Reparaturen.

Unser unsentimentaler Mann findet keinen Trost in Selbstgesprächen, und seien sie auch nur mit Begleitern im Geiste wie dem Tiger in „Life in Pi“ oder Tom Hanks' Volleyball namens Wilson in „Cast Away“. Abgesehen von zwei (nutzlosen) Funksprüchen und einem späten, gequälten und in seiner Singularität sich umso wirkungsvoller entladenden „Fuuuck“-Fluch definiert sich Redfords Figur gemäß einer alten Kino-Hausregel, die im heutigen Hollywood nur mehr selten befolgt beziehungsweise im Übermaß der Effekte begraben wird – action is character.

Selbst da waltet ungewohnte Sparsamkeit: Die meisten Handlungen des Mannes sind methodische Rettungsmaßnahmen – wie Chandors Inszenierung, die handwerklicher Ökonomie den Vorrang gegenüber großen Gesten lässt. Minutiös wird verfolgt, wie der Segler sein Boot vom Container löst, das Leck prophylaktisch flickt. Wenn er vom hohen Mast klettert, ist es eine unübliche Spannungsszene: bei aller Professionalität eine sichtliche Herausforderung für den spürbar gealterten Körper. Nur wenige Details erlauben Spekulationen über die Geschichte und Psychologie der Figur: die Ornamente im gut ausgestatteten Boot (ein reicher Späthippie-Aussteiger?) oder das Bedürfnis, sich zu rasieren, bevor man sich dem heraufziehenden Sturm stellt. Als Film über die unausweichliche Konfrontation mit dem Tod funktioniert „All Is Lost“ über das schrittweise Wegnehmen der Optionen: Als der Orkan das Schiff flutet, muss unser Mann hilflos ins kleine Gummirettungsboot wechseln.

Redfords meisterhafte Demonstration

So wie sich der Weltall-Weg von „Gravity“ – von der defekten US-Raumstation zur funktionierenden chinesischen – auch als soziopolitischer Kommentar lesen ließ, hat „All Is Lost“ allegorische Momente, wenn riesige internationale Frachter vorbeifahren, ohne dass die Signale des Schiffbrüchigen beachtet werden: buchstäblich ein kleiner Mann, der verzweifelt im Sog des Kapitalismus treibt. Aber eigentlich ist Chandors Film die systematische, dabei von Sympathie getragene Demontage eines Kino-Idols und am stärksten, wo er sich ganz auf Redfords Präsenz konzentriert: Die sparsam verwendete, aber pathetische Musik scheint ebenso überflüssig wie das ikonografisch geladene Finale, das spirituelle Stilisierung sucht.

Vor allem Redfords stoische Gegerbtheit trägt den Film: Er liefert eine meisterhafte Demonstration dessen, was wirklich darstellerische Kinomagie produziert – nicht „großes Schauspiel“, sondern pure Präsenz. Understatement und Charisma wirken umso stärker, wenn die Teflonschichten des einstigen Sonnyboy-Superstars abgeschürft werden. In Chandor – ein Protegé aus Redfords Sundance-Zirkeln – hat er dabei einen geeigneten Regisseur gefunden: Wo fehlgeleitete Autorenfilmer-Ambitionen und vorauseilender Zielgruppenzuschnitt dominieren, zeigt sich Chandor als unaufdringlicher Inszenator mit Bewusstsein für klassische Kinostoffe. Nach seinem wortlastigen Wirtschaftskrisen-Drama „Margin Call“ beweist sich der Filmemacher nun auf gänzlich anderem Terrain. Vielleicht ist noch nicht alles verloren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2014)

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