„Ida“ im Kino: Ein Nonnendrama als Traumspiel

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Der schöne, unaufdringlich vielschichtige Film ist ein triumphales Comeback, und eine Heimkehr ins Polen der 1960er für den Ausnahmeregisseur Pawel Pawlikowski.

Es ist eine späte filmische Heimkehr, die dem polnischstämmigen Regisseur Pawel Pawlikowski mit seinem faszinierenden Drama „Ida“ gelingt: Die Geschichte einer Nonne in Polen, Anfang der 1960er, präsentiert im Kinoformat von damals – die sorgfältig gebauten Bilder sind schwarz-weiß und im alten Vorbreitwandseitenverhältnis von 1.33:1. Aber eine nostalgische Übung hat Pawlikowski nicht im Sinn, sein Film unterscheidet sich auch stilistisch vom damaligen filmischen Aufbruch in Polen, für den bejubelte Stilisten wie Roman Polanski, Andrzej Wajda oder Jerzy Skolimowski stehen: Mit ruhigem Rhythmus, feiner Charakterzeichnung und stimmiger Milieuschilderung entwirft Pawlikowskis stiller, schöner, kurzer Film auch ein vielschichtiges und grimmiges Zeit- und Historienbild.

Es ist auch Pawlikowskis größter internationaler Erfolg bei Kritik wie Publikum, nachdem der Ausnahmeregisseur lang von der Bildfläche verschwunden schien. Zudem schließt „Ida“ einen Kreis in seiner kosmopolitischen Laufbahn, als Rekonstruktion der „stärksten“ Kindheitserinnerungen des 1957 in Warschau geborenen Filmemachers: In seinem ersten polnischen Spielfilm wollte er „seine“ Bilder, Töne und Orte wiederfinden, über 40 Jahre, nachdem er seine Heimat verlassen hat. Nach der Trennung seiner Eltern – Pawlikowski war gerade 14 Jahre – ging er mit der Mutter, einer Dozentin für englische Literatur, nach Großbritannien. Als Autodidakt kam er schließlich bei der BBC-Dokumentarabteilung unter, bei der er sich in den 1990ern mit originellen, oft preisgekrönten Beiträgen etablierte – und einen eigenständigen Stil mit spielfilmartigen Elementen entwickelte, weil er unter dem Schutzmantel literarischer Themen frei vorgehen konnte.

Dostojewski – ein Straßenbahnfahrer!

Die ausgezeichnete Dokumentation „Die Todestrinker – Von Moskau nach Petuschki“ war ein berührendes Porträt des Schriftstellers Wenedikt Jerofejew und seiner dissidenten Alkoholikersatire „Die Reise nach Petuschki“, das Pawlikowski kurzerhand mit verstörenden Aufnahmen von Betrunkenen im Delirium konterkarierte. Dann genehmigte ihm die BBC ein Dostojewski-Projekt: „Dostojewskis Reisen“ zeigte freilich den letzten Nachkommen des großen Autors, einen Straßenbahnfahrer in St.Petersburg, den Pawlikowski bei Recherchen entdeckt hatte – und der begeistert in die Rolle seines berühmten Vorfahren schlüpfte, inklusive Spielszenen im Casino zu Baden-Baden.

Pawlikowskis bejubelter Spielfilm „Last Resort“ (2000) stand dann in der „dokumentarischen“ Tradition des britischen Sozialrealismus, ohne dessen Thesenhaftigkeit zu erliegen, in der Handlung um eine russische Emigrantin mit Kind war auch ein autobiografischer Bezug zu ahnen. Die wildromantische Teenagergeschichte „A Summer of Love“ (2004) wurde Pawlikowskis Meisterwerk – und überraschte mit fantastischen Tendenzen. Der große Durchbruch schien zum Greifen nah, stattdessen kam eine Zwangspause: Pawlikowski brach den Folgefilm wegen Erkrankung und Tod seiner Frau ab und kümmerte sich um die Kinder.

Nach dem trotz Stars (Ethan Hawke, Kristin Scott Thomas) ignorierten Comeback „The Woman in the Fifth“ (2011) ist „Ida“ eine triumphale Rückkehr: Für das charakteristisch vielschichtig behandelte Sujet findet Pawlikowski eine einfache, sogar strenge Form. In seiner Reduktion ist es auch ein Film, über dessen Handlung man wenig verraten will, weil jedes kleine Detail große Bedeutung hat und Pawlikowski eine delikate Balance hält: Die Bilder sind geheimnisvoll, ohne unklar zu sein, wie die mysteriösen Szenen auf dem Boden liegender Novizinnen im Kloster, wo die junge Titelheldin anfangs vor ihrem Gelübde steht. Und nochmals in die Welt hinausgeschickt wird, zur letzten Verwandten, einer selbstbewussten Tante, einst als systemtreue Staatsanwältin gefürchtet.

Jetzt zieht sie kettenrauchend und trinkend durch Jazzclubs, wo ihre Nichte die erste romantische Begegnung mit einem Saxofonisten hat, dessen Jazzeinlagen (John Coltrane) den sorgfältigen Soundtrack bereichern. Der Kontrast von klösterlichem Rückzug und Weltoffenheit ist nur ein Element, um das Pawlikowksi seine Auseinandersetzung mit Widersprüchen gestaltet, etwa den Konflikt zwischen Christen und Juden in Polen. Im Zentrum steht aber die gespiegelte Beziehung zweier starker Frauenfiguren, die durch Enthüllungen aus der jüngeren Vergangenheit zu einer Tragödie wird, ohne die Hoffnung aufzugeben. Die bestechende Bildsprache – statische, schöne Einstellungen, in denen sich die Figuren unter einem weiten, meist bewölkten Horizont verlieren – gibt „Ida“ die Qualität eines Traums: Er nimmt einen gefangen, ohne einem vorzuschreiben, was man von seinen Bildern halten soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2014)

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