50 Jahre Ersatzbefriedigung: "Liebe in den Zeiten der Cholera"

(c) Tobis
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Neu im Kino. Mike Newell hat den grandiosen Roman „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ verfilmt – ein buntscheckiges Werk, das man nicht an García Márquez messen sollte.

Ein Knabe liebt ein Mädchen. Die heiratet, weil es ihr Vater so will, einen anderen. Nach mehr als 50 Jahren aber wird alles gut – die Angebetete gibt sich als frische Witwe dem greisen Werbenden körperlich und sogar seelisch hin. Aus diesem bizarren Plot hat Kolumbiens Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez 1985 in reifen Jahren einen der schönsten Romane entwickelt, der mit abgeklärter Ironie diverse Spielarten der Liebe schildert.

Regisseur Mike Newell (Vier Hochzeiten und ein Todesfall, Harry Potter und der Feuerkelch) hat sich markante Episoden aus diesem vielschichtigen Roman herausgepickt und daraus einen aparten Kostümfilm gemacht. Grandiose Landschaftsbilder und Javier Bardem als intensiver Hauptdarsteller entschädigen für einige Schwächen dieses 139-minütigen Werkes. Denn es ist eine kaum zu bewältigende Herausforderung, ein ganzes Leben entsagender Herzen und triebhafter Ersatzbefriedigung so souverän zu erzählen wie García Márquez.

Der Film hat mit der Zeitspanne Probleme. Giovanna Mezzogiorno (*1974) als schöne Fermina Daza muss recht bald stark überschminkt auftreten, um alt zu wirken. Den verliebten Telegrammboten Florentino Daza als jungen Mann spielt Unax Ugalde, um dann rasch Bardem zu weichen.

Erotisch und sauber zugleich

Der ist weniger in seiner Rolle als schmachtender, abstrakter Liebhaber, sondern als Handwerker des Sex attraktiv. An die zwei Dutzend Frauen darf er beglücken – im Roman sind es 622, die über den Herzschmerz hinweghelfen.

Erotisch und zugleich für Hollywood sauber genug sind diese Szenen. Eine Liebschaft ist sogar tragisch. Einer jungen Geliebten pinselt Florentino mit roter Farbe auf den Bauch, dass sie sein Eigentum sei. Das süße Mädel vergisst, diesen Makel abzuwaschen, ehe sie zurück ins Ehebett schlüpft. Wortlos schneidet ihr der Gemahl die Kehle durch. Schnitt, und wieder sieht man berauschend schöne Bilder, dieweil Shakira ihren Schmerz in die Welt jodelt.

Es gibt auch berührende Szenen, etwa die, in der Florentino für ein Pärchen nacheinander geheim geläufig-läufig-poetische Briefchen schreibt. Das trifft dann am ehesten den zarten Ton des raffinierten Tropen-Tolstoi. Weniger differenziert sind der berechnende Vater Daza (John Leguizamo), ein Muli-Unternehmer, und der Ehemann (Benjamin Bratt als hölzerner Dr. Juvenal Urbino). Die spanischsprachigen Darsteller reden im Original Englisch – das macht sie etwas steif und verfremdet.

Neben Bardem gefallen Fernanda Montenegro als dessen Mutter und Hector Elizondo als Onkel Leo in schönen Charakterrollen, die auch in einem Almodovár-Film vorkommen könnten.

Bei Newell aber fehlt trotz aller Opulenz der an Originalschauplätzen gedrehten Szenen das Schwüle und Schmutzige, das man einer Stadt wie Cartagena Ende des 19. Jahrhunderts zutrauen würde. Er werde ihr keine medizinische Vorlesung halten, verspricht Ehemann Urbino der jungfräulichen Braut in der Hochzeitsnacht.

Hang zur großen Symbolik

Ein wenig akademisch ist der Film dann aber doch geworden. Und der Hang zur großen Symbolik ist ausgeprägt, bereits in der Anfangsszene: ein Dschungel mit Papagei in Nahaufnahme. Der alte Doktor Urbino will den Vogel vom Baum holen, wird gebissen und stürzt von der Leiter zu Tode.

Schnitt. Der alte, verschmähte Liebhaber liegt mit einer jungen Studentin postkoital in der Hängematte. Die Glocken läuten, schon weiß Herr Ariza, dass der Nebenbuhler gestorben ist. Mehr als zwei Stunden dauert es dann, bis er mit der alten Flamme auf einem seiner Schiffe im Bett liegt. Schnitt. Der große Fluss in voller Pracht, just zur Happy Hour. Wie lang kann das denn dauern? „Für immer“, heißt es im letzten Satz des Romans von García Márquez.

AUTOR UND REGISSEUR

Gabriel García Marquez (*1927) schrieb mit „Hundert Jahre Einsamkeit“ (1967) einen Jahrhundertroman. Weitere Hauptwerke des Kolumbianers: „Das Leichenbegängnis der Großen Mama“ (1962), „Der Herbst des Patriarchen“ (1975).

Mike Newell (*1942) schuf u.a. „Dance with a Stranger“ (1985), „Enchanted April“ (1992) und „Donnie Brasco“ (1997).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2008)

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