„Der letzte Tanz“: Erni Mangold schwebt auf dem Fenstersims

„Der letzte Tanz“
„Der letzte Tanz“(C) Diagonale
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Tolle Protagonisten zieren Houchang Allahyaris Film „Der letzte Tanz“.

Julia Ecker fristet auf einer Pflegestation ein freudloses Dasein. Bei ihr wurde Alzheimer diagnostiziert, sie ist entmündigt. Wenn die Visite kommt, zieht sie die Decke über den Kopf und ruft: „Niemand zu Hause!“ Sie verlässt ihr Bett nicht, verweigert Medikamente, nervt das Pflegepersonal – bis eines Tages der Zivildiener Karl auftaucht. Der junge Mann hat eine starke Mutterbindung, seine Freundin ist lieb, aber fordernd, und er weiß nach dem Ende seines Studiums nicht so recht wohin. Umso besser kennt sich Frau Julia aus. Der Bursche ist ein Jungbrunnen für sie.

Houchang Allahyari teilt seinen neuen Film „Der letzte Tanz“ in einen schwarz-weißen und einen farbigen Teil, weil die Systeme Justiz und Gesellschaft sich absolut nicht mit den Bocksprüngen des Gefühlslebens vertragen. Er erzählt nicht nur eine Liebesgeschichte, er zeigt auch das Drumherum: den Alltag auf der Pflegestation, auf der die strenge Oberschwester regiert, die mehr Macht hat als die Ärzte, aber auch letztlich mehr Verantwortung. Karls Freundin reagiert auf dessen Engagement im Spital zunehmend gereizt und als die alte Nixe den Burschen tatsächlich verführt, ist der Teufel los und Karl wird wegen Missbrauchs eines Abhängigkeitsverhältnisses verhaftet...

Daniel Sträßer ist als Karl grandios

„Der letzte Tanz“ ist ein schöner, einfühlsamer, menschlicher, gut besetzter und auch genauer Film, Allahyari selbst spielt den Psychologen im Gefängnis, der Karl untersucht. Trotzdem folgen die Handlungsstränge zeitweise vorhersehbaren, vom Fernsehen bekannten Mustern: der Spitalsalltag, die Reaktion der Eltern der Freundin auf Karls Verfehlung – sie fordern ein Ende der Beziehung –, die strengen Anwälte, die Polizei usw.

Aber da sind Erni Mangold und Daniel Sträßer, die beiden Protagonisten, Julia und Karl – und sie sind hinreißend. Mangold spielt sich selbst als böse, aber auch bezaubernde Hexe, als unwürdige Greisin und als Vamp. Grau und störrisch ist sie anfangs ein Bild der Verweigerung, aber auch zur Leidenschaft erweckt, bleibt sie anstrengend. Sie isst nur, wenn der Junge sie füttert, sie hüpft aufs Fensterbrett und träumt von der „Geierwally“. Mangolds Kunst ist die Balance von Verrücktheit und Seligkeit, und souverän umschifft sie Klischees, vermeidet das Melodram. Daniel Sträßer als Karl hat es mit seiner Rolle schwerer. Doch auch er ist grandios und glaubwürdig auf seiner Wanderung vom liebenswerten Weichei und tastenden Lover zum randalierenden Berserker, der nicht versteht, was er verbrochen hat. (bp)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2014)

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