Superfrau Lucy auf Rachefeldzug

Lucy
LucyUniversal Pictures
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Luc Besson stattet seinen Science-Fiction-Thriller "Lucy" mit philosophischem Zierrat und Grenzwissenschaften aus. Rasch wird der Film zur Bewegungsstudie Scarlett Johanssons.

Lucy hat vor ungefähr 3,2 Mio. Jahren gelebt. Ihr Skelett ist eines der am besten erhaltenen der Art Australopithecus afarensis. Ein Bild dieser Lucy blitzt auf, für Sekunden wird es in den hackschnittartigen Bilderstrom von Luc Bessons neuem Film eingespeist. Man merkt schnell: Der französische Produzent und Regisseur will seine „Lucy“ in eine Reihe stellen mit vergleichbar philosophisch aufbereiteter Science-Fiction, will dem Menschsein auf den Grund gehen und greift dabei nach den Sternen. Referenzen auf gerade noch moderne Filme („Matrix“) bis hin zu monolithischen Klassikern („2001: Odyssee im Weltraum“) halten den Zuschauer in Schach, während Scarlett Johansson ihre mit abblätterndem Perlglanz-Nagellack bestrichenen Fingernägel zitternd Richtung Kamera streckt.

Ganz am Anfang darf diese modernste zeitgenössische Hollywood-Darstellerin ihre Edelaura gegen den Aufzug einer vermutlich im Wohnwagenpark sozialisierten Amerikanerin eintauschen, die in Taipeh lebt. Ein Kerl namens Richard zwingt sie, einen dieser Metallkoffer, die gemäß Spektakel-Kino-Logik immer etwas sehr Gefährliches enthalten, einem Mr. Jang (Choi Min-sik) zu übergeben. Einige Schusswechsel später ist Lucy unfreiwillig Drogenkurierin: In ihren Magen eingenäht ist ein Plastiksackerl voller kleiner blauer Kristallkörner. Geschnupft soll dieses CPH4 die Hirnleistung in ungeahnte Höhen katapultieren. Nach Schlägen und Tritten in die Bauchgegend entleert sich die Substanz allerdings in Lucys Körper und löst eine Entwicklung in ihrem Gehirn aus, von der Gelehrte wie Professor Norman (Morgan Freeman) bisher nur philosophieren konnten.

Das Drehbuch stützt sich überzeugt auf den Mythos, der Mensch könne nur zehn Prozent seiner Hirnleistung abrufen, es spinnt daraus ein wüstes „Was wäre, wenn“-Szenario. Bald kann Lucy die Gedanken anderer kontrollieren, räumliche Dimensionen manipulieren, Naturgesetze ignorieren. Spätestens nach einer halben Stunde wird der Film zur Körper- und Bewegungsstudie Johanssons. Zu erzählen hat Besson nicht mehr viel, außer dass seine übermenschliche Heldin in einem Rachefeldzug das komplette Drogensyndikat Mr. Jangs im Alleingang auslöscht.

Zwischen Killerin und Außerirdischer

Superfrauen sind eine Konstante in Bessons Werk: Lucy sitzt jetzt irgendwo zwischen der Auftragskillerin „Nikita“ und Milla Jovovichs Außerirdischen in „Das fünfte Element“. Mit Feminismus sollte man diese Konzentration auf Überfrauen allerdings nicht verwechseln: Johansson sieht wie ihre Vorgängerinnen bei aller Action immer noch umwerfend gut aus. Stil übertrumpft Substanz: Sequenzen, die an jene unglückliche Zeit erinnern, als man auf MTV von frenetisch geschnittenen Musikvideos ins Kopfschmerzkoma geschickt wurde, montieren nur sekundenlang aufblitzende Naturbilder – etwa von Tieren auf Beutejagd – an solche von der flüchtenden, bedrängten Lucy. Ist ja auch fast dasselbe. Oder auch nicht. Zeit ist eine Illusion, will uns Besson damit sagen. Wäre auch alles nicht so schlimm, würde „Lucy“ einfach nur Spaß machen. Johansson dabei zuzusehen, wie sie schwer bewaffnete Gangster durch die Gegend schleudert, hört sich allerdings besser an, als es ist – nämlich ziemlich langweilig.

Ein anderer Film mit ihr hat es leider nicht in die heimischen Kinos geschafft. In Jonathan Glazers „Under the Skin“ trampt die Johansson als Männer verschlingendes Alien durchs triste Schottland – ein formal experimenteller, nachtschwarz glänzender Fiebertraum vom Begehrt- und Verzehrtwerden. Bessons „Lucy“ hätte hingegen das Zeug zum vergnüglichen B-Film gehabt: Aber er kleistert den ziemlich dummen Thriller mit so viel philosophischem Zierrat und Grenzwissenschaften aus, dass er richtig verzweifelt wirkt im Ringen um Bedeutung und Relevanz. Am Ende hinterlässt Lucy ihr Wissen in Form eines schwarzen, rechteckigen USB-Sticks, der aussieht wie einer von den schwarzen Monolithen aus Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“. In diesem Moment wird einem schmerzhaft bewusst, wie breit der Graben ist zwischen einem guten Regisseur und Luc Besson.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2014)

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