„Schoßgebete“: Das Glück ist eine Heizdecke

Schoßgebete
Schoßgebete(C) Constantin Film
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Der Film zu Charlotte Roches zweitem Roman handelt nicht von Sex, sondern von einem tiefen Trauma – und davon, wie eine junge Frau es mithilfe einer Psychologin und ihres einfühlsamen Mannes überwindet.

Eigentlich war das Buch schon eine Mogelpackung. Die Moderatorin und Autorin Charlotte Roche hatte angekündigt, sie würde eines der letzten Tabus brechen und über – huch – ehelichen Sex schreiben. Aber davon handelte „Schoßgebete“ dann eben leider nicht, sieht man von ein, zwei Passagen ab, in denen etwa im Ton einer Gebrauchsanweisung Fellatio beschrieben wird. Stattdessen erfuhren wir eine Menge vom Innenleben einer zwänglerischen jungen Frau, die Schlimmes durchgemacht hat: Drei Geschwister kamen bei einem Autounfall ums Leben – und zwar ausgerechnet auf der Fahrt zur Hochzeit der Icherzählerin!

Das Buch berichtet davon eher knapp. Im Film nimmt dagegen diese Katastrophe im Leben der Charlotte Roche – hier ist der Roman tatsächlich autobiografisch – breiten Raum ein. Dazu gehört, dass in guter alter Horrortradition ausführlich jenes Idyll präsentiert wird, das später zerbrechen wird: Im Garten trifft sich die glückliche Familie für letzte Hochzeitsvorbereitungen, man überreicht Geborgtes und Altes und sieht ganz allgemein ganz entzückend aus. Da fällt der Braut siedend heiß ein, dass das voluminöse Hochzeitskleid den Flug nach London wohl nicht überstehen wird. Die Mutter reagiert liebevoll: „Nicht einmal du kannst an alles denken“, meint sie und hat gleich einen Vorschlag parat: Soll das Brautpaar doch fliegen, die restliche Familie komme mit dem Auto nach, das Kleid aufs Dach geschnallt. „Wer als Erster da ist...“, sagt Elizabeth und beißt fröhlich in eine Karotte.

Im Schock erstarrte Mutter

Was dann kommt, ist quälend: ein Anruf. Der Anruf. Der Besuch bei der Mutter im Krankenhaus. Sie hat mit schwersten Verbrennungen überlebt, Elizabeth muss ihr beibringen, dass drei ihrer Kinder tot sind. Dazwischen albtraumhafte Szenen vom Unfall selbst – so, wie Elizabeth ihn sich ausmalt samt Knall und Feuerball und einer im Schock erstarrten Mutter.

Das ist erschütternd gespielt und erschreckend glaubwürdig. Man kann also verstehen, dass Oliver Berben (Drehbuch) und Sönke Wortmann (Regie) die Geschichte rund um den Unfall bauen. Das Problem beginnt dort, wo sie praktisch jede Lebensäußerung, jede Macke, ja jede Charaktereigenschaft der Heldin auf diesen Unfall zurückführen. Während Roche offenlässt, wie viel von der Vorliebe für häufigen und devianten Sex dem Trauma geschuldet ist, wie viel der „feministischen“ Erziehung, und was vielleicht einfach nur Spaß macht, ist hier die Antwort eindeutig: Ohne tote Geschwister kein Bordellbesuch mit Ehemann! Das ist – auch wenn einige Zitate das zu belegen scheinen – allzu banal, und es desavouiert zudem den Vorgängerroman und den Vorgängerfilm, den David F. Wnendt in Szene gesetzt hat. Von wegen aufmüpfige junge Frau! Von wegen provokant! Da spricht eine arme, verletzte Seele, der geholfen werden muss!

Und ihr wird! Das sind dann die schlimmsten Passagen, in denen Elizabeth auf der Couch bzw. auf dem Teppich ihrer Therapeutin (Juliane Köhler) liegt und dabei jene geplauderten Weisheiten von sich gibt, die schon im Buch nerven – und keineswegs immer durch eine Pointe abgemildert werden. „Manchmal ist das Naheliegende einfach falsch, auch wenn es noch so gut gemeint ist“, sagt sie dann. Oder: „Warum gibt es eigentlich keine Bordelle für Frauen?“ Dazu reißt Lavinia Wilson die Augen weit auf, bis man das Weiße oberhalb und unterhalb der Pupillen sieht. „Echt?“, scheint sie zu fragen – „Hab ich das gerade gesagt?“

Therapie der Kalendersprüche

Die Weisheiten von Frau Drescher sind übrigens nicht weniger banal. Als ob es sich bei einer Therapie um den Austausch von Kalendersprüchen handle! Als Ergebnis bleibt die Beziehung zwischen Psychologin und Klientin – eine der wichtigsten Beziehungen überhaupt im Film! – blass.

Man kann nicht verstehen, wie diese Therapie helfen soll. Vielleicht ist es aber auch gar nicht die Therapie! Vielleicht ist es der Mann! Im Buch ist er ein rechter Ungustl, der seine Frau zur Abtreibung zwingt und dann – weil die Vagina noch Schonung braucht – auf Analverkehr besteht. Im Film darf Jürgen Vogel einen geduldigen Softie spielen, einen Fels in der Brandung, der fast ungerührt jede Caprice seiner Frau duldet, ihre Strenge gegenüber der Tochter mit liebevollen Streichen konterkariert – und der nur einen Nachteil hat, nämlich, dass er ebenfalls allzu gerne Lebensweises absondert.

Hin und wieder macht er seiner Frau sogar ein hübsches Präsent, das man nicht bei Beate Uhse bestellen kann. Etwa eine Heizdecke: Wie Elizabeth sie auspackt und liebevoll aufs Bett breitet, wie sie sich ins warme Bett kuschelt und selig lächelt, muss man sagen: So glücklich hat Elizabeth weder vor noch beim noch nach dem Sex je gewirkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2014)

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