Die Tiefe der amerikanischen Heimat

US-Filmemacher John Ford
US-Filmemacher John Ford Sammlung Österreichisches Filmmuseum
  • Drucken

Er beschwor den Mythos des Wilden Westen – dekonstruierte diese Romantisierung aber auch. Die Viennale zeigt 50 Werke des großen US-Filmemachers John Ford. Bis 30. November im Filmmuseum.

Es gibt so Momente in Peter Bogdanovichs beherzter Dokumentation „Directed by John Ford“, da kann man nur noch staunen: nicht nur über die schlau ausgewählten Ausschnitte aus Fords Filmen oder über Orson Welles' Erzählerstimme, sondern schon auch über Fords Gebaren selbst. Nicht wenige von Bogdanovichs Fragen beantwortet der lässig vor einer Monument-Valley-Kulisse hockende Regisseur einsilbig. Welches Element im Westerngenre ihm von Anfang an gefallen hat? „I wouldn't know.“

Ford, geboren als John Feeney, Sohn irischer Einwanderer, der sich als rothaariger „Mick“ in Portland, Maine, seine Kindheit und Jugend lang als Außenseiter gefühlt hat, gab so gut wie nie etwas über sich preis. Es heißt, nicht einmal seine engsten Vertrauten hätten gewusst, was diesen nach außen so hart wirkenden Kerl umgetrieben hat. Wenn man von seinen Filmen ausgeht, dann waren es wohl die Mythen seines Heimatlandes, gegossen in diese unverwechselbare, in die Tiefe des Bildraums hineininszenierte Americana.

Vielleicht war die Romantisierung des „Frontierland“ mit seinen andauernd umherziehenden, durch Staub und Dreck galoppierenden Figuren – etwa in seinem Durchbruchsfilm „Stagecoach“ (1939) –, auch eine Reflexion seiner eigenen Biografie: Denn auch wenn Ford gebürtiger Amerikaner war, hat er der Heimat seiner Vorfahren gegenüber sehr starke Gefühle entwickelt. Irland, das Ford als Kind einmal mit seinem Vater besucht hat, und die Geschichte seines häufig unterdrückten, oft enteigneten Volks, das im 19.Jahrhundert in Hunderttausendschaften den Atlantik überquerte und sich an der US-Ostküste ansiedelte; diese Geschichte scheint sich in den vielen Ford-Filmen, in denen die Indianer von den Weißen vertrieben werden, wiederzufinden, wie Joseph McBride in seiner lesenswerten Biografie „Searching for John Ford“ nahelegt.

Erste transkontinentale Eisenbahn

Mit dem Kino kam der spätere Meisterregisseur früh in Kontakt: Anfang des 20.Jahrhunderts gab es in den USA tausende sogenannter „Nickelodeons“: Ford begeisterte sich schnell für die bunten Filmprogramme und folgte 1914 seinem älteren Bruder Francis nach Los Angeles. Ford, der sich damals noch Jack nannte, arbeitete als Regieassistent und Schauspieler, bis er irgendwann selbst inszenieren durfte. Von seinen Stummfilmen sind die meisten verschollen, sein bekanntester, „The Iron Horse“ (1924), aber hat überlebt und ist auch bei der großen Viennale-Retrospektive mit insgesamt 50 Ford-Werken zu sehen: Ein Historienepos über den Bau der ersten transkontinentalen Eisenbahn durch die USA, serviert mit viel Jux und Tollerei, garniert mit einer Liebesgeschichte.

Gut zehn Jahre später erhielt Ford seinen ersten von bis heute ungeschlagenen vier Regie-Oscars: „The Informer“ (1935) spielt während des irischen Unabhängigkeitskriegs und erzählt wie viele andere Ford-Filme auch von einem „kleinen“ Mann, der, um für sich und seine Freundin die Überfahrt nach Amerika bezahlen zu können, einen Freund verrät. Zur Zeit, als „Stagecoach“ nicht nur das von den Großstudios viele Jahre geschmähte Westerngenre revitalisierte, sondern auch John Wayne über Nacht zum Hollywoodstar machte, galt John Ford längst als einer der wichtigsten US-Regisseure: Wie kein Zweiter seiner Generation balancierte er die industriellen Anforderungen an einen kommerziellen Filmemacher, der vor allem unauffällig bleiben sollte, mit inszenatorischer und erzählerischer Raffinesse aus. Auf dem Set selbst war John Ford eine gefürchtete Präsenz: Er regierte als donnernder Patriarch über seine Filmfamilie, duldete keinen Zweifel an seinem Führungsstil. Aber wer sich einmal bewährt hatte, hatte gute Chancen in die „John Ford Stock Company“ aufgenommen zu werden: Immer wieder mit denselben Leuten zusammenzuarbeiten, ermöglichte ihm auch eine außergewöhnliche Effizienz als Regisseur.

Von Nixon zum Admiral befördert

Ford war Vielarbeiter: Immer wieder betonte er, dass es ihm am liebsten wäre, an jedem Tag seines Lebens in der Früh aufzustehen und direkt zum Set zu fahren. Wenn er nicht gerade an einem Film arbeitete, stürzte Ford in ein tiefes Loch. Tagelang verbarrikadierte er sich dann in seinem Zimmer, hörte Musik, rauchte Pfeife und trank so viel Alkohol, dass er mehr als einmal ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.

John Ford, das sieht man in seinen Filmen, war ein Zerrissener. Er beschwor den Mythos des Wilden Westens, der mythischen USA in atemberaubenden Breitwandpanoramen herauf, dekonstruierte diese Romantisierung aber auch. Der Zeitungsherausgeber im meisterlichen Spätwerk „The Man who shot Liberty Valance (1963)“ bringt es auf den Punkt: „When the legend becomes fact, print the legend.“ Fords Kino offeriert jedenfalls nicht eine Perspektive auf die US-Geschichte, sondern mehrere, die sich dialektisch zueinander verhalten. Seine Darstellung der Indianer reichte von Idealisierung bis Dämonisierung, selbst wenn er sich für gewöhnlich auf die Seite der Minderheiten schlug. Im Gegensatz zu John Wayne, mit dem er 15 Filme gedreht hat, waren Fords politische Einstellungen schwerer einzuschätzen. Er war zeitweise Demokrat, dann wieder Republikaner, war überzeugter Patriot, sprach sich für den Vietnam-Krieg aus und wurde kurz vor seinem Tod von Ford-Fan Richard Nixon zum Admiral befördert.

Sein gigantisches Kinowerk ist jedenfalls eines der einflussreichsten des 20. Jahrhunderts: Sein genialer Hollywood-Klassizismus hat Orson Welles ebenso begeistert wie Akira Kurosawa, Ingmar Bergman und Steven Spielberg. Auch wenn seine Genres, Themen und Figuren aus der Mode gekommen zu sein scheinen: Es gibt keinen zweiten Filmemacher wie ihn, keinen, der mehr über die US-Geschichte erzählt hat. Aus der Perspektive eines stolzen Iren, selbstverständlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.