"Chiko": Dealer in der Zwickmühle

(c) Einhorn
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„Chiko“ mit Moritz Bleibtreu ist ein harter, schnörkelloser, etwas klischeehafter Kiez-Gangsterfilm. Daheim kam er mitten in die Debatte um Jugendkriminalität von Immigranten. Derzeit im Kino.

Im Hamburger Vorort wird nicht lange gefackelt: „Voll derb drauf“ sind der junge Deutschtürke Chiko (glaubwürdig hochtrainiert: Komödiant Dennis Moschitto) und sein Kumpel Tibet. Das stellen sie gleich unter Beweis, indem sie einen Marihuana-Zwischenhändler verprügeln, damit der örtliche Drogenkönig Brownie (Moritz Bleibtreu) von ihnen Notiz nimmt.

Mit Brownie trinkt Chiko dann ein Bier aus der Flasche: Besser als aus dem Glas, erklärt er, weil man damit zuschlagen kann. Brownie, der sich als Musikproduzent tarnt und als Wohlstandsbürger mit Familiensinn auftritt, ist angetan vom forschen Nachwuchskriminellen, macht ihn zum Dealer: Chiko hat das erste Ziel auf seinem Weg zu Geld und „Respekt“ erreicht. Aber es ist auch der erste Schritt auf dem Weg in eine fatale moralische Zwickmühle: Denn Partner Tibet ist unvernünftig, hat obendrein eine nierenkranke Mutter, braucht Geld für sie. Also zweigt er Drogen ab, Chiko muss sich entscheiden: zwischen der alten Loyalität zum Freund und dem neuen Leben als „vernünftiger“ Gefolgsmann Brownies.

Dagegen ist „Knallhart“ butterweich

Der Stoff des deutschen Erstlingsfilms Chiko setzt sich aus archetypischen Gangstergeschichten zusammen. Etwa dem Immigrantentraum vom Aufstieg im Verbrechermilieu, wie ihn Al Pacino in Brian De Palmas Klassiker Scarface verfolgte (dem im Abspann von Chiko in Hiphop-Manier gedankt wird). Und so wie einst in Martin Scorseses Hexenkessel der von Harvey Keitel gespielte Gauner vom verantwortungslosen Juniorpartner (Robert De Niro) ins Unglück geritten wurde, droht auch Chiko die Freundschaft zu Tibet Kopf und Kragen zu kosten.

Scorsese mit seinen Gangsterfilmen diente schon bei Kurz und schmerzlos, dem 1999 entstandenen Debüt des deutsch-türkischen Erfolgsregisseurs Fatih Akin, sichtlich als Übervaterfigur. Kein Wunder also, dass Akin mit seiner Produktionsfirma nun für Chiko einem Gesinnungsgenossen unter die Arme griff: Auch Regiedebütant Özgür Yildrim will sich mit diesem harten Genrefilm erstmal offensichtlich abgrenzen vom Betroffenheitskino, wie es (vor-)schnell mit deutschen Kunstfilmen assoziiert wird.

Als Genrefilm ist Yildrims Debüt im deutschen Film jedenfalls eine ganz respektable, wenn auch recht unoriginelle Leistung: Seine schnörkellose Erzählung in flottem, modischem Stil wurde in Deutschland wieder einmal als Geburtsstunde eines deutsch-türkischen Gangsterkinos gefeiert. Die ungewohnt zupackenden Gewaltszenen haben wohl ihr übriges getan: Dagegen war Detlev Bucks Berlin-Krimi Knallhart butterweich.

Überschattet wurde die Debatte um Chiko bei seiner Berlinale-Premiere auch vom Wahlkampf des hessischen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch, der Jugendkriminalität von Immigranten ins Visier genommen hatte. Aber Yildrims Film ist zu einfach entlang von Gegensätzen gestrickt, um tatsächlichen Anspruch auf Realismus zu haben: Seine Welt teilt sich allzu eindeutig in Gut und Böse, deutsch und türkisch. Hier der bigotte Brownie im protzigen Domizil, dort das „Ghetto“ mit Solidarität in Teestuben, in denen gebetet wird, und mit der „echten“ Gangster-Hiphop-Attitüde.

Außergewöhnlich: der Subkultur-Slang

Für einen Genrefilm ist die Grundierung im Milieu aber glaubhaft genug, besonders der deutlich von Rap beeinflusste Subkultur-Slang ist ein echter Gewinn, gerade im deutschen Kino: Man nennt sich „Digger“ und „Alder“ oder – als Äquivalent zu den four-letter-word-Exzessen in US-Krimis – „Fotze“, das funktioniert besser im Kiez-Kontext hier als in den meisten Synchronfassungen.

Aber dieser zunächst frappierende Anstrich von Authentizität, samt einer „korrekten“, zumal von der minoritären Seite her vollzogenen Besetzung ethnischer Klischees, wird letztlich eindeutig von den Klischees des Gangsterkinos übertüncht: So ist der Film überladen mit katholischer Symbolik und Moral. Bezeichnend der Auftritt von Rayhan Sahin, einer studierten Soziologin, die als „Porno-Rapperin“ namens Lady Bitch Ray für Kontroversen gesorgt hat: Sie gibt ihr Schauspieldebüt als Hure Meryem – die Maria für Chiko, der eigentlich Isa, also: Jesus heißt. Dazu passt, dass in der brutalsten Szene des Films ein Nagel durch einen Fuß geschlagen wird. Und alle Gewalt hier führt ins Unglück: Wer durch das Schwert lebt, kommt dadurch um. Auch am Kiez gilt schließlich schlicht: crime does not pay.

SCHLÜSSELFIGUR FATIH AKIN

Im Boom deutsch-türkischer Filme ist er eine Schlüsselfigur: Fatih Akin (*1973 in Hamburg), Kind türkischer Einwanderer, gab 1999 mit dem Immigranten-Gangsterfilm „Kurz und schmerzlos“ sein Debüt. 2004 kam der internationale Durchbruch, als Akins wildes Hamburg-Istanbul-Melodram „Gegen die Wand“ den „Goldenen Bären“ gewann.

Mit „Corazón International“, seiner nach dem Berlinale-Sieg gegründeten Produktionsfirma, realisiert er nicht nur eigene Projekte – zuletzt den Episodenfilm „Auf der anderen Seite“ (2007) –, sondern auch Filme junger Regisseure mit verwandten Anliegen, wie das türkische Glaubensdrama „Takva – Gottesfurcht“ (2006) oder nun eben „Chiko“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2008)

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