Die letzte Reise als Roadmovie

Miriam Stein Juergen Vogel und Volker Bruch die Schauspieler bei der Hin und Weg Kino Premiere am 1
Miriam Stein Juergen Vogel und Volker Bruch die Schauspieler bei der Hin und Weg Kino Premiere am 1imago/APress
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In Christian Züberts „Hin und weg“ machen Freunde eine Radtour. Reiseziel: Belgien, dort gibt es Sterbehilfe. Es ist einer der traurigsten Filme des Jahres.

Im letzten Sommer breitete sich in sozialen Netzwerken die „Ice Bucket Challenge“ aus. Es galt, sich einen Kübel voll Eiswasser über den Kopf zu schütten und Geld zu spenden, um auf die Krankheit ALS aufmerksam zu machen. Die Amyotrophe Lateralsklerose ist eine unheilbare degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems, die nach drei bis fünf Jahren zum Tod führt. Als das deutsche Drama „Hin und weg“ im Herbst 2013 gedreht wurde, war der Internet-Hype noch Zukunftsmusik, ALS bildet aber auch hier den traurigen Kern.

Hannes, seine Frau Kiki und ihre Freunde Michael, Dominik und Mareike sowie Hannes Bruder Finn brechen zu ihrer jährlichen Radtour auf. Das von Hannes ausgewählte Ziel, Belgien, stößt auf wenig Begeisterung, kurze Zeit später steht die ganze Reise infrage: Hannes eröffnet seinen Freunden, dass er an ALS erkrankt ist und in Belgien Sterbehilfe in Anspruch nehmen will. Als seine Freunde nach dem ersten Schock erkennen, wie wichtig ihm die letzte Zeit mit ihnen ist, setzen sie die Tour fort.

Der deutsche Regisseur Christian Zübert, der mit Ariane Schröder das Drehbuch verfasste, positioniert sein Werk als Ensemblefilm: Mareikes und Dominiks Eheprobleme und Michaels (Jürgen Vogel) Status als Schürzenjäger rücken zunächst fast stärker in den Vordergrund als Hannes' Krankheit. Auf diese Weise zeichnet Zübert nicht nur das Bild einer Freundesgruppe, sondern macht auch spürbar, wie das Reiseziel verdrängt wird. Wie Kiki (Julia Koschitz) es ausdrückt, denkt sie immer bis zum gegenwärtigen Tag, alles andere ist nur Spaß.

Lebensfroh und schmerzhaft

So treibt die Handlung dahin: Ein Roadtrip auf dem Fahrrad, unterbrochen von Übernachtungen in Zelten und Hotels. Die Freunde pflegen dabei die Tradition, sich Aufgaben – etwa einem Fallschirmsprung – zu stellen.

In diese grundsätzlich austauschbaren, aber glaubhaft erzählten und gespielten Momente der Lebensfreude und Lebensprobleme mischt sich die Tragödie – unterschwellig im Schweigen und in Blicken, deutlich in geflüsterten Gesprächen und emotionalen Ausbrüchen. Florian David Fitz legt die Hauptperson, Hannes, als innerlich bereits ein ganzes Stück entfernten Mann an, der zu seinem Entschluss steht und Verzweiflung und Angst niedergerungen hat.

Mit seiner Darstellung – den Auffälligkeiten an seiner Haltung, seinem Gang und seinen Händen – transportiert der abgemagerte Fitz das vom beginnenden Verfall geprägte Körpergefühl seiner Figur so gut, dass kein Gedanke an seine frühere Rolle, Dr. Marc Meier aus der TV-Serie „Doctor's Diary“, aufkommt. Dass Fitz' Spiel tief reicht, hat er schon mit „Vincent will Meer“ oder zuletzt mit „Da geht noch was“ bewiesen.

Was „Hin und weg“ von anderen Werken mit ähnlicher Thematik unterscheidet: Weder Hannes' Krankheit und ihr Verlauf noch sein Entschluss, den Todeszeitpunkt selbst zu wählen, sind Zentrum des Films. Auch nicht das Thema Sterbehilfe mit all seinen Facetten.

Das Publikum wird so an das Thema Abschied herangeführt, wie es der Praxis des „Probehandelns“ durch Kunst entspricht: Unweigerlich muss man sich in die Situation hineinversetzen, wie es wäre, wenn der eigene Partner, ein eigener Freund oder ein eigenes Familienmitglied von einer tödlichen Krankheit betroffen wäre und Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollte. „Hin und weg“ trifft dafür den richtigen Ton – und ist als einer der traurigsten Filme des Jahres ein Glücksfall.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2014)

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