Film: Die wiedergefundene Lust der Greise

(c) EPA (Senator)
  • Drucken

Sex im hohen Alter als Kinothema: Andreas Dresens „Wolke 9“ ist unspekulativ, doch zu konstruiert.

Spekulativ ist das deutsche Ehebruchsdrama Wolke 9 von Regisseur Andreas Dresen keineswegs, auch wenn es gleich mit einer spontanen Sexszene überrumpelt: Inge (Ursula Werner) will Karl eigentlich nur seine Hose zurückbringen, an der sie geschneidert hat. Karl öffnet verdutzt, in Unterhosen, die Szene kippt, und unversehens hat eine leidenschaftliche Affäre begonnen.

Außergewöhnlich ist vor allem das Alter der Protagonisten: Inge ist jenseits der 60, Karl fast 80. Ein Tabubruch? Das interessiert Dresen nicht: Er filmt die faltigen Intimitäten ungeschönt offenherzig, sucht selbstverständliche Alltäglichkeit, keinen Skandal.

Für westliche Verhältnisse ist das etwas Besonderes, in Asien widmeten sich zuletzt einige Filme dem Sex im Alter: Das koreanische Vérité-Video Too Young Too Die über die wiedergefundene Lust zweier 70-Jähriger wurde aber daheim zensiert; im September startete in Deutschland parallel zu Wolke 9 der unbekümmerte japanische Greisen-Softporno Tasogare – Liebestoll im Abendrot.

Unbekümmert bleibt es bei Dresen nicht: Nach einer Phase der größtenteils wortlosen, erotisierten Euphorie nehmen die Schuldgefühle schnell überhand. Dann wird viel geredet und gelitten in der Enge der biederen Kleinbürgerwohnung, vor allem nachdem Inge ihrem 70-jährigen Gatten (Horst Westberg) den Seitensprung gesteht.

Das (sehr deutsche) Drama ist zwar glaubwürdig. Aber die Aspirationen zur antiken Tragödie – samt einem stellvertretenden Chor aus Pensionistinnen – laufen der unbestreitbaren Qualität des Films zuwider, die von Schauspiel bis Dekor vor allem in seiner Natürlichkeit liegt. Vollends übersteigert und kontraproduktiv ist dann die dramatische Schlusswendung: Nicht das Tabu, sondern die Konstruktion wird Dresen schließlich zum Verhängnis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.