Neu im Kino: Deutsches Fantasy-Design für die Welt

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"Tintenherz": Ein Hollywood-Blockbuster „Made in Germany“: Von der Story blieben imposante Ruinen.

Von nichts kommt nichts. 2001 lief der erste „Herr-der-Ringe“-Film im Kino an. Tolkiens Buch freilich ist schon seit den Achtzigerjahren Kult bei Kids. 2000 erschien „Herr der Diebe“ von der deutschen Autorin Cornelia Funke. Unmöglich, dass bei der Titelgebung niemand an Tolkien gedacht hat, oder? Auch die englischsprachigen Titel sind ähnlich: „Herr der Ringe“= „Lord of the Rings“, „Herr der Diebe“ = „The Thief Lord“.

Wer den angelsächsischen Markt hat, hat die Welt. Das wissen Fantasy-Autoren wohl. Gestalten Schriftsteller aus anderen Kulturkreisen ihre Bücher danach? „Tintenherz“, ein weiterer der vielen Funke-Bestseller – weltweite Gesamtauflage ihrer Bücher: 15 Millionen – ist auf den ersten Blick nicht als designt für den englischsprachigen Markt zu erkennen, wiewohl die einzelnen Kapitel mit Zitaten aus englischen (Fantasy-)Büchern eingeleitet werden. Der Film dagegen wirkt gezielt auf englischen Geschmack getrimmt – was nicht allein daran liegt, dass wie im „Zauberer von Oz“ ein Haus durch die Luft fliegt oder ein Ring in eine Ecke.

Hollywood hat sich erstmals an einen deutschen Bestseller als Weihnachtsblockbuster gewagt. Der Plot von „Tintenherz“ wurde zwar beibehalten, aber die Handlung willkürlich gerafft, umgestellt und mit den üblichen Figuren der Traumstadt für solche Streifen ausgestattet. In den Ställen des Bösewichtes finden sich fliegende Urzeitvögel, Mammut, Einhorn. Nur das Krokodil schaut ganz normal aus. Wenn am Ende ein gewaltiges Schattenmonster mit glühenden Augen und grauen Spinnenfingern den Fiesling in Staub verwandelt, könnte man denken, aha, noch so ein typisches Fantasy-Ding, das nicht im Buch ist. Es ist aber dort.

Helen Mirren als königliche Schrulle

Vielleicht haben sich ja die Ideen von Cornelia Funke und Hollywood von Anfang an getroffen. „Tintenherz“ ist trotzdem ein schönes Buch und eine der niveauvolleren Kreationen im Fantasy-Urwald, wo viel Unkraut wächst. Als Halbwaise (Potter!) lebt die 12-jährige Meggie mit Vater Mo(rtimer). Dieser besitzt die Fähigkeit, Figuren aus Büchern lebendig werden zu lassen. Beim Vorlesen des mittelalterlichen Romans „Tintenherz“ ist so der Bösewicht Capricorn entkommen – samt einer gemeinen Bande. Gelegentlich lässt Mo auch Personen in Büchern verschwinden. Er kann seine Zauberei nicht steuern. So kam ihm seine liebreizende Ehefrau Resa, Meggies Mama, abhanden. Capricorn jagt Mo, er will dessen Fähigkeit gewinnbringend einsetzen.

Mo und Meggie, die sich zu einer eigenwilligen, reichen und büchernärrischen Single-Tante namens Elinor geflüchtet haben, werden von Capricorn und seinen Männern aufgestöbert und in Capricorns Schloss verschleppt. Dieser zwingt Mo, den Schatz aus „Ali Baba und die 40 Räuber“ herauszulesen. Das gelingt, aber mit dem Schatz purzelt auch Ali Baba aus dem Buch. Sinnvollerweise heißt er hier Farid, was wohl für moslemische Leser zeitgemäßer klingt...

Damit jetzt keiner „Spoiler!“ (Spielverderber, der zu viel über die Handlung verrät) ruft, wird nichts weiter verraten. Der britische Regisseur Iain Softley (Nomen es omen) hat Funkes Buch sanft bebildert. So lieb wie „Der Zauberer von Oz“ (1939) ist „Tintenherz“ nicht, aber auch bei Weitem nicht so grauslich wie die „Potter“- oder „Herr-der-Ringe“-Filme. Vor allem fehlen die schaurigen Geräusche. Man hat reichlich Muße, sich an der schönen ligurischen Landschaft zu erfreuen, beneidet die Crew um Motivsuche und Dreharbeiten. Mafios wirken die Machtstrukturen in dem von Capricorns Bande beherrschten Dorf.

Von den Schauspielern sind am markantesten nicht die Hauptdarsteller (Mo, Brendan Fraser oder sein sinistrer „Freund“, der Jongleur Dustfinger vulgo Staubfinger, Paul Bettany), sondern z. B. Hellen Mirren, die die Tante Elinor wie die Queen spielt und das ist gar nicht schlecht. Herrlich skurril ist „Tintenherz“-Autor Fenoglio (Jim Broadbent) und herrlich böse Andy Serkis als Capricorn. Älter als zwölf wie im Buch wirkt die hübsche, blonde Eliza Hope Bennett als Meggie; folglich kann sie mit Farid (Rafi Gavron) flirten, worüber wir wohl mehr erfahren werden, falls der Film eine Fortsetzung findet (Die Tintenherz-Saga hat drei Teile). Insgesamt: keine Sensation in puncto Originalität. Meggie liest z. B. für Capricorn alle Märchenfiguren aus Büchern heraus. Eine Parodie auf diese sah man schon in „Shrek“. Ein sensationeller Erfolg? Vermutlich auch nicht. „Madagaskar 2“ wird mehr Youngsters locken. Diejenigen aber, die in „Tintenherz“ geraten, müssen sich nicht fürchten. Sie werden alles mühelos verstehen, auch wenn sie das Buch nicht gelesen haben. Gag am Rande: Staubfingers Gefährte ist ein Marder, der wird nun ebenso wie die Ratten nach „Ratatouille“ ein Mode-haustier werden. Man bekommt Marder, die als Wildtiere verhasst sind, weil sie gern Kabel im Auto zernagen, in Tiergeschäften. Doch Vorsicht: Das herzige Vieh ist genauso unberechenbar und bissig wie im Film.

ES FOLGT: GRIMMS MÄRCHEN

Cornelia Funke (50), früher Erzieherin, übersiedelte 2005 von Hamburg nach Los Angeles. Ihre neue Fantasy-Saga heißt „Reckless“ und handelt von zwei Brüdern, die in die Welt von Grimms Märchen eintauchen. Romantik ist eine Domäne – und wichtige Quelle – der Fantasy-Autoren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2008)

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