Neue Filme aus Österreich: Fluchtversuche

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Ein unentschlossenes Flüchtlings-Drama von Arash T.Riahi, ein Selbstmörder-Drama aus Tirol von Händl Klaus: Zwei Spielfilmdebüts zeigen, wie schwer es ist, auf der Leinwand eine Heimat zu finden.

Das Kino ist die Heimat von Phantomen: Aus Licht bauen sich Geschichten, aus Standbildern entsteht die Illusion von Bewegung. Phantome sind es auch, die zwei österreichische Spielfilmdebüts bevölkern: Arbeiten, die erzählen, wie es ist, wenn man den Boden unter den Füßen verliert, wenn man ohnmächtig wird.

Arash T. Riahi, Österreicher mit iranischen Wurzeln, versucht sich mit Ein Augenblick Freiheit am humanistischen Drama: Eine Gruppe von Flüchtlingen aus dem Iran und dem Irak landet nach beschwerlicher Reise in Istanbul. Das Tor in die freie Welt erweist sich allerdings als erster Verteidigungsring der Festung Europa. Das neue Leben vor ihnen, das alte Leid im Nacken, treten sie ein in eine unwirkliche Welt: in der sie sind, aber gleichzeitig nicht sind. Phantome auf der Suche nach einer neuen Heimat.

Riahi will in der 3,5 Millionen Euro teuren Produktion nichts falsch machen und sichert sich nach zu vielen Seiten hin ab: Ein Augenblick Freiheit ist inhaltlich und formal butterweich, hat sich perfekt eingependelt zwischen aufrichtiger Anklage, dramatischer Verdichtung und auflockerndem Humor. Aber Riahi gibt einem kein Gefühl dafür, wie es sich als Entrechteter lebt, wie sich das Hoffen darauf anfühlt, von der UNHCR als Flüchtling anerkannt zu werden oder genug Geld zum Überleben zu haben. Er ist so interessiert am Vermitteln der Botschaft, dass er dafür seine künstlerische Wahrhaftigkeit aufs Spiel setzt. Ein High-Concept-Film für die Programmkinos: emotionalisierend, konsenshumanistisch, konturlos.

Nur weil Riahis Film an einer Stelle Vittorio De Sicas neorealistischen Klassiker Fahrraddiebe (1948) zitiert, darf man auf die uneitle Wucht anderer Flüchtlingsgeschichten verweisen: etwa von Mamma Roma, Pier Paolo Pasolinis zweitem Spielfilm (1962). Anna Magnani versucht darin als Exprostituierte einen Neuanfang in einer schicken Wohnsiedlung; sie will weg aus dem Dreck, will ihrem Buben ein besseres Leben ermöglichen – und muss daran scheitern. So will es das System, so wollen es die Mächtigen, sagt Pasolini und arbeitet sich über das Einzelschicksal hin zur gesellschaftlichen Wahrheit. Ein Film mit klarer Aussage, Handschrift und erschütterndem Ende. Ein Augenblick Freiheit dagegen schließt unentschlossen: Einigen glückt die Flucht, anderen nicht. Fallbeispielkino statt Aufschrei: ein Produkt der Konsensgesellschaft.

„März“: Allzu gestelzte Dialoge

Händl Klaus geht mit seinem Drama März in die entgegengesetzte Richtung: weg vom geschmeidigen Narrativ, hin zu einer gegenwärtigen Tragödienform. Im Prolog beenden drei junge Männer im Dunkel der Nacht freiwillig ihr Leben. Zurück lassen sie die geschockten Einwohner ihres Dorfs, Freunde, Bekannte, Verwandte: alles Phantome, die auch Monate später noch versuchen, wieder Fuß zu fassen im Alltag.

Händl, mehrfach ausgezeichneter Theaterautor, entwirft ein Panoptikum, zeigt das schwierige Verarbeiten des Geschehenen an einer Vielzahl von Figuren: Die Kamera bleibt dabei unaufdringlich, die Dialoge leider nicht. März gibt sich naturalistisch, stolpert aber oft über die gestelzten Worte und Sätze des Buchs. Die inszenatorische Zurückhaltung gerät Händl zum Nachteil: Wo Riahi zu stark aufdrückt, macht er es zu schwach, wo Ein Augenblick Freiheit zu viel Struktur hat, hat März zu wenig. Ein gutes Drama muss den Unterschied zwischen Gas- und Bremspedal kennen, muss die Nuance ebenso beherrschen wie den Faustschlag. Nur dann finden die Phantome eine neue, eine schöne Heimat: auf der Leinwand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2009)

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