"Plötzlich Gigolo": Stadtneurotiker im Antiquariat

"Plötzlich Gigolo"Millennium Entertainment
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Eine wunderbar gegensätzliche Männergemeinschaft: In „Plötzlich Gigolo“ gibt Woody Allen einen alten Buchhändler, Regisseur John Turturro seinen Angestellten.

Was macht schon ein Altersunterschied von 22 Jahren – wenn man als Paar so gut zusammen funktioniert wie Woody Allen und John Turturro in „Plötzlich Gigolo“? Der bald 79-jährige Allen spielt Murray, einen New Yorker Antiquar, der sein Geschäft aufgeben muss; Turturro, 57, gibt seinen ehemaligen Angestellten Fioravante, der nun als Blumenhändler jobbt. In der ersten Szene räumen sie gemeinsam den Buchladen leer und sofort fühlt man sich im Bann der zwischenmenschlichen Chemie dieses Duos. Die liebevolle Sorgfalt, mit der Fioravante die alten Bücher einpackt, lässt hinter der stoisch-ungelenken Fassade eines alternden Beaus ein sensibles Gemüt erahnen. Der scharfzüngig vor sich hin tiradisierende Murray dagegen tritt auf als Woody-Allen-Inkarnation, wenn dieser nicht Komiker geworden wäre, sondern den Buchladen seines Großvaters übernommen hätte. Sie ergänzen einander prächtig in ihrer Gegensätzlichkeit.

So vertraut ist diese Männergemeinschaft, dass ihr Gespräch nahtlos vom Buchhandel und dessen Untergang zum Sexbusiness und dessen Zukunft übergeht. Murray erzählt, dass seine Hautärztin ihn gefragt habe, ob er nicht einen Mann kenne, der bereit wäre, mit ihr und einer Freundin einen „Dreier“ auszuprobieren. Fioravante schüttelt noch lächelnd den Kopf über die Plötzlichkeit dieses Vorschlags, als Murray ihm gesteht, dass er gleich an ihn als Kandidaten gedacht habe. Natürlich weigert sich Fioravante zunächst, aber der Flut an Argumenten (z.B. „Drecksarbeit – aber auf gute Weise!“), mit denen Murray ihm zusetzt, kann er sich nicht lange widersetzen. Mit der Hautärztin (Sharon Stone) wird eine Art „Sneak Preview“ vereinbart. Die verläuft so erfolgreich, dass Murray und Fioravante sich überraschend vor dem Problem sehen, was sie mit dem angefallenen Trinkgeld machen sollen. Wie immer bringt Murray beredt Argumente vor – in Restaurants werde das Trinkgeld zwischen Bedienung und Küche üblicherweise aufgeteilt – und wie immer gibt Fioravante gutmütig nach. Es ist der Beginn einer wunderbaren Geschäftsidee.

Bossa Nova auf Italienisch

„Plötzlich Gigolo“ ist die fünfte Regiearbeit des Vollblutschauspielers Turturro, und wie es manchmal passiert, vergrößert gerade die Unebenheit seines Stils noch den Charme. In den Händen eines Profiregisseurs würde die Idee des alternden Gigolos und seines noch älteren Zuhälters sehr wahrscheinlich zur zynischen Sexfarce. In Turturros gleichsam tastender Vorgehensweise wird daraus eine melancholische Komödie über die menschlichen Eigenheiten. Sei es orientalischer Jazz oder Bossa Nova auf Italienisch – Turturro unterläuft sanft die gezeigten Klischees, indem er sie in der Verfremdung wieder eigenartig macht.

So wenig Hintergrund der Film für seine Figuren liefert, so viel Respekt erweist er ihnen: Warum der gut aussehende Fioravante in seinem Alter immer noch allein lebt, bleibt genauso unausgesprochen wie die Natur der „Ménage“ von Murray, der zusammen mit einer jüngeren schwarzen Frau und deren vier Kindern wohnt. Gleiches gilt für die chassidische Gemeinde, in der die beiden Aufruhr verursachen, weil Murray die von Vanessa Paradis gespielte Witwe eines Rabbiners als Kundin gewinnt. In einer der schönsten Szenen des Films bringt Murray deren Kinder mit den „seinen“ zum Baseballspiel zusammen. Sein schlagendes Argument: „Manchmal ist Zeitverschwendung gesund.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2014)

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