Besessen vom Licht: Ein Maler im Film

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Mike Leigh ist ein beschwingend leichter, offener, luftiger Film über ein in mehrfacher Hinsicht schwerfälliges Sujet gelungen: über den weltberühmten britischen Romantikmaler J. M. W. Turner (1775 bis 1851).

Anthony Hopkins als Nixon oder Michelle Williams als Marilyn Monroe – der Zwang zur Ähnlichkeit mit den lebenden Vorbildern stellt eine echte Belastung für jede Filmbiografie dar. Oft genug erschöpft sich das Genre darin, möglichst perfekt die äußere Erscheinung wiederzugeben. Filme über Persönlichkeiten, deren Auftreten noch nicht von Kameras dokumentiert ist, haben es da erheblich leichter. So weiß man nicht, ob Joseph Mallord William Turner, seines Zeichens einer der größten englischen Maler des 19. Jahrhunderts, sich wirklich mit seiner Umgebung hauptsächlich durch Grunzen verständigt hat. Mag sein, dass der britische Regisseur Mike Leigh, der auch das Drehbuch schrieb, dafür einen Beleg in den Berichten von Zeitgenossen gefunden hat. Selbst dann wäre das, was Timothy Spall in der Titelrolle hier macht, mehr Erfindung denn Imitation. Spall, mit dickem Leib und verzogenem Gesicht, schlurft, grunzt und grummelt, dass es eine wahre Freude ist. Und diese Lust am Erfinden einer Figur im Gegensatz zum pflichtschuldigen Nachahmen verleiht „Mr. Turner“ von Anfang an eine beschwingende Leichtigkeit.

Der Film – dessen Titel auf Deutsch durch „Meister des Lichts“ ergänzt wurde – beginnt in den 1820er-Jahren; William Turner, mittlerweile in seinen Fünfzigern, ist längst ein anerkannter Meister seines Fachs. Die ersten Szenen zeigen ihn beim Skizzenzeichnen in der flachen Landschaft Belgiens. Für einen Moment nimmt der Film die Perspektive eines der berühmten Gemälde Turners ein. Als Kinozuschauer glaubt man sogleich, ein Strukturprinzip erkannt zu haben: Wird der Film sozusagen die Entstehung der „Greatest Hits“ nachverfolgen? Doch es kommt anders.

„Turner verliert sein Augenlicht“

Mit der Rückkehr Turners nach London taucht man ein in den geschäftigen Alltag dieses Mannes: Die Werkstatt muss unterhalten, Farben müssen besorgt, Bilder verkauft werden. Zwischendurch muss der eigene Rang unter Kollegen behauptet werden, in Auseinandersetzungen in der Akademie und in Gesprächen mit dem aufkommenden Berufsstand der Kritiker. Und dann wäre da auch noch der Umgang mit all denen, die etwas von ihm wollen, sei es finanzielle Unterstützung oder Zuwendung anderer Art.

Über weite Strecken könnte man denken, dass Mike Leigh, der in seinem Filmen immer großen Wert auf Realismus in der Darstellung von sozialen Verhältnissen gelegt hat, hier auf die historisch-materialistische These abzielt, dass Kunst tatsächlich mehr mit Handwerk zu tun hat als mit Kreation. Doch der Film entwickelt als roten Faden der letzten Lebensjahre Turners genau das Gegenteil: Seine Besessenheit mit dem Thema Licht führt ihn von der repräsentativen Malerei weg hin zu mehr abstrakten, den Impressionismus vorausahnenden Darstellungen. „Turner verliert sein Augenlicht“, hört man mit Befremden über Bilder sagen, auf denen Konturen verschwimmen. Er selbst nimmt es mit weiterem Grunzen hin.

Die schwierige Rezeption der letzten Jahre ist dabei nur ein Aspekt, von dem Leigh in seinen sorgfältig komponierten Szenenfolgen erzählt. Mit Liebe zum Detail zeigt er etwa das innige Verhältnis, das Turner mit seinem Vater (Paul Jesson) unterhält, der ihm zugleich die Werkstatt führt.

Rüder Sex mit der Haushälterin

So freudig-herzlich hat man selten Vater und Sohn einander begrüßen sehen: Zwei Männer, der eine alt, der andere älter, beide dicklich und eher ungepflegt, küssen sich zum Wiedersehen. Es ist eine Szene, die so vielschichtig ist wie ein Ölgemälde: ein wenig grotesk und doch voller Wärme und Ehrlichkeit. Sie steht damit im Kontrast zu anderen Szenen, die Details aus Turners Leben enthüllen: Da wären die lieblos scheinenden, rüden Sexakte mit der Haushälterin (Dorothy Atkinson) oder der abweisende Umgang mit einer ehemaligen Geliebten und dem gemeinsam gezeugten Nachwuchs. Dann wieder zeigt sich Turner in der jahrelangen Bekanntschaft mit einer Pensionswirtin im Seeort Margate als zartfühlender, ja romantischer Liebeswerber. Detail fügt sich an Detail, eine Farbschicht überlagert die andere: „Mr. Turner“ ist eines der seltenen Biopics, das seine historische Figur weniger festnageln will, als dass dem Zuschauer angeboten wird, sie zu entdecken.

Zusammen mit dem Zwang zur Nachahmung hat sich Mike Leigh nämlich auch des zweiten schwer zu Boden ziehenden Gewichts des Biopics entledigt, des Zwangs zur psychologischen Interpretation. Warum Turner malt, wie er malt, und liebt, wie er liebt, darauf gibt Leigh keine der sonst im Genre üblichen anekdotischen Antworten. So verschlossen, grummelig und unartikuliert das Auftreten der Hauptfigur ist, so offen und luftig bleibt der Film als solches. Als ob Leigh es hinter der Kamera seinem Meistermaler gleichtun möchte: Selbstvergessen einfach schauen, was es zu sehen gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2014)

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