Wien Modern: Rote Kader, blasse Attrappen

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ARCHIVBILD: OLGA NEUWIRTHAPA/JAEGER ROBERT
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Olga Neuwirth hat den Stummfilm "Maudite soit la guerre" dezent neu vertont; Bernhard Ganders Sitcom-Oper zerbröselt im Finale ganz.

Kino? Niemals. Nur durch Zwang einmal, als Offizier, „in diesem letzten blöden Krieg damals“. Fernsehen? „Ja, ja, das hab' ich gesehen, bei irgendeinem schrecklichen Menschen. Ich selber hab' ja nicht einmal ein Radio“: Noch im Jahr 1957 konnte Heimito von Doderer bei allen audiovisuellen Medien geringschätzig abwinken, ohne als hinterwäldlerisch zu gelten. Neun Jahre zuvor reichten dem Philosophen Günter Anders ein paar Minuten Fernsehen als Grundlage für seine kritische Analyse „Die Welt als Phantom und Matrize“, deren Schlüsse erst im Reality-TV unserer Zeit mit letzter Konsequenz bestätigt werden: Wir seien zu voyeuristischen „Masseneremiten“ geworden, die sich in einer „industriellen Oralphase“ alles in den Mund stopfen lassen. Aktuelle interaktive Strategien mit ihrer hochartifiziell inszenierten „Authentizität“ suggerieren dabei noch, die Meinung jedes Einzelnen sei relevant – doch was in Wahrheit bei allerlei Telefon- oder SMS-Votings zählt, ist nur das Klingeln der Kasse.

„Gleichgültigkeitsmaschine“. Die Regisseurin Lotte de Beer hat das Phänomen dieser Tage als Basis einer Inszenierung von Bizets „Pêcheurs de perles“ am Theater an der Wien verwendet und sich damit, ihrerseits eine Bilderflut entfesselnd, etwas vor die Musik gedrängt, ihr Ziel aber mit beeindruckender Konsequenz erreicht. Kein Wunder, dass Anders' Zunftkollege Peter Sloterdijk vor einigen Jahren schon gestand, das Fernsehen nur noch als „Gleichgültigkeitsmaschine“ zu verwenden: „Ich schaue so lange auf den Bildschirm, bis der gefühlte Unterschied zwischen einem Papst-Segen, einer pornografischen Dauerwerbesendung und einem Bericht über die Fauna von Madagaskar gegen null geht.“

Allzu weit von solchen Gedanken war man nicht entfernt, als an den letzten Abenden von Wien Modern 2014 nochmals Ränder des Musikdramatischen erkundet wurden: mit einem neu komponierten Soundtrack und der letzten Folge eines Versuchs, die Oper aus Sitcom-Elementen neu zu erfinden. Olga Neuwirth hat den Stummfilm „Maudite soit la guerre“ (1914) des französischen Regisseurs Alfred Machin vertont. Er erzählt die Geschichte einer Männerfreundschaft und der Liebe des einen zur Schwester des anderen. Beide Beziehungen zerbrechen durch die Gewalt des Kriegs; als Soldaten stehen sich die Männer in feindlichen Armeen gegenüber und fallen; die Schwester geht schließlich ins Kloster. Der von Hand nachkolorierte Film übersetzt Schüsse und Bomben in komplett rot gefärbte Kader, unterfüttert die Ausläufer expressiver, damals schon etwas aufgesetzt wirkender Stummfilmgestik mit allerlei Tricktechnik (Splitscreen!) und zeigt doch dramaturgische Schwächen in der entscheidenden Konfrontation der Freunde. Neuwirth operiert zumeist zweischichtig in ihrer Musik, die das Ensemble 2e2m unter Pierre Roullier im Gartenbaukino live dargeboten hat: Zu einer eher deskriptiven Ebene, in der sich lautmalerische Gesten ohne sklavisch exakte Nachzeichnung der Geschehnisse tummeln, tritt eine meist unheimlich dräuende Geräuschkulisse. Vielleicht war es Neuwirths verständliche Skepsis, ob Musik „so ein großes, unbeschreiblich schreckliches Ereignis“ überhaupt behandeln könne, die zu einem gewissen Rückzug führte: Das Ganze wirkte doch mehr routiniert als inspiriert.

Weder Routine noch Inspiration erlebte man leider beim Finale von Bernhard Ganders Opern-Sitcom „Das Leben am Rande der Milchstraße“ am Freitag im Konzerthaus: Allen dankenswerten Bemühungen zum Trotz sind bei diesem ambitionierten Projekt nur noch Anders'sche Phantome, Attrappen und Matrizen zu beobachten, völlig verblasst im x-ten Durchlauf der Kopierschleife zwischen „Realität“ und TV-Abbild.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2014)

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