Danny Boyle: Triumph eines Pop-Schlawiners

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Mit dem Mumbai-Märchen „Slumdog Millionär“ räumte der britische Regisseur Danny Boyle bei den Oscars ab. Der „Presse am Sonntag“ verriet er Hintergründe seines Erfolgs.

In seinen Filmen gibt es Drogen, verdreckte Klos, Zombies, Leichen, Geldkoffer und Inselgöttinnen. Und doch geht es dem britischen Regisseur Danny Boyle immer um das eine: um die Liebe und andere Jugendträume. So gesehen ist der Oscar-Hit Slumdog Millionär die Apotheose seines Schaffens: Drei Kinder aus den Dharavi-Slums der „Maximum City“ Mumbai versuchen die Armutsschranke mit verschiedenen Mitteln zu überwinden. Jamal arbeitet hart, sein bester Freund Salim wird zum Gauner, das Mädchen Latika heiratet reich.

„Es ist dieselbe Geschichte wie in Rocky“, sagt Danny Boyle im Interview mit der „Presse am Sonntag“. „Ein Kind ohne Hoffnung hat einen Traum, der sich schließlich erfüllt. Und es geht dabei eben nicht um Erfolg, Geld, Glamour oder Ruhm. Es geht um ein Mädchen, letztlich geht es nur um die Liebe.“ Es ist aber weniger die Geschichte, die Slumdog Millionär Aufmerksamkeit eintrug und zum Oscar-Abräumer 2009 machte, es ist die Form: Der Pop-Schlawiner Boyle saugt Erzählkulturen auf und baut sie um. Seinen Kameramann Anthony Dod Mantle ließ er mit digitalem Apparat durch enge Slum-Gassen sausen: Die Bilder wirken überhitzt, aufgegeilt; allerorts suchen sie neue Eindrücke, Gerüche, Farbschattierungen. Boyle: „Wir entschlossen uns, das Chaos zu umarmen, die Geschichte so weit wie möglich innerhalb der Stadt zu erzählen, alles an uns vorüberfließen zu lassen. Darum gibt es auch viele Fehler, etwa wenn Passanten direkt in die Kamera blicken. Das mussten wir hinnehmen, denn was man dafür bekommt, ist einfach unfassbar. Es gibt diese Energiewelle in der Stadt, die durch den Film zuckt.”

Slumdog Millionär zuckt zweifellos. Aber vor allem wegen der zerfledderten Dramaturgie. Aus all den Bildrasereien, Schnellschnittsequenzen und angeschrägten Bildern fügt sich eben nicht das Tellerwäschermärchen zusammen, das Boyle gern hätte. Seine Inspiration liegt offen zutage: Indiens Bollywood-Filmindustrie mit hunderten Produktionen im Jahr. Derzeit sind mehrstündige, bunte, wirklichkeitsferne Liebesfilme in Mode. Boyle beneidet ihre Naivität und den „schlechten Geschmack“, denn: „Daraus wird gute Unterhaltung, wie wir alle wissen.“

Das Problem ist nur: Bollywood ist kein Zauberland. Form und Inhalt von Indiens Filmen ergeben sich aus harten Wirtschaftsdaten und der Prüderie der Obrigkeit. Selbstzensur prägt die oft gewitzten, aber immer harmlosen Liebeleien: Man will staatliche Sittenwächter nicht mit sexuellen oder anderweitig anstößigen Szenen erregen. Indiens Kino kennt auch andere Gangarten wie die poetisch-humanistischen Dramen von Adoor Gopalakrishnan. Bollywood ist nur ein Teil der nationalen Industrie. Das ignorieren viele westliche Zuseher, die sich am Farben- und Formenrausch laben – und an einer Naivität, die im durchironisierten Hollywood verloren gegangen ist.

Boyle: „Wir mixen Bollywoods Naivität mit britischem Realismus. Ich wollte den Film an echten Schauplätzen drehen, nicht die Slums nachbauen. In Bollywood hätte man das sicher so gemacht: ein steriler Slum im Studio, wo man sich die Füße nicht dreckig machen muss.“ In Slumdog Millionärverknüpft Boyle die vermeintlich realistischen, dabei extrem ästhetisierten Ruck-zuck-Bilder von Dharavi mit Jamals Auftritt in der TV-Show „Wer wird Millionär?“ Boyle: „Diese Sendung liefert eine kristallinen Eindruck von unserer modernen Welt. Es geht um Träume und um Erniedrigungen, und die Show wird vor einem Volk abgezogen, das in unfassbarer Armut leben muss.” Boyle erliegt mit dem Film aber nur einem weiteren Phantasma der sich radikal verändernden Turbostadt.


Traumbilder von Indien. Denn Boyles frecher, bewusst politisch unkorrekter, als Realismus missverstandener Exotismus bietet ein Mumbai zwischen Curry und Exkrementen nahe an den Traumbildern, die andere Westler über diese Stadt, über dieses Land gestülpt haben: „Diese überschäumende Stadt voller schrecklichem Leid, Armut und Zuständen wie in der Hölle, aber auch voller unfassbarer Reichtümer und Errungenschaften: eine Stadt, die Indien in das asiatische Jahrhundert führt.” Traurig an Boyles Film ist weniger sein Scheitern am Versuch, Bollywood mit Pop-Sozialrealismus zu kreuzen. Sondern dass der Regisseur denkt, etwas Besonderes und Originäres zu leisten. Aber vor allem, dass ihm die Welt das glaubt und ihn dafür auszeichnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2009)

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