„Phoenix“: Spiegelbilder und Lügengebilde

PHOENIX  2013
PHOENIX 2013Christian Schulz
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Keine herkömmliche Geschichtsaufarbeitung: Christian Petzold zeigt in „Phoenix“ die Trümmer der NS-Zeit ohne Schulfilmpädagogik – und erzählt auch über das Kino selbst.

Dass das kein herkömmlicher deutscher Geschichtsaufarbeitungsfilm wird, das ist schon nach den ersten Bildern von „Phoenix“ klar. Eingefasst von Nachtschatten nähert sich ein Auto einem Grenzposten: Hinter dem Steuer sitzt Lene Winter (eine Erscheinung: Nina Kunzendorf). Es ist Herbst 1945, und sie bringt ihre Freundin Nelly (Nina Hoss), eine KZ-Überlebende, nach Berlin. Die Stadt soll aber nur Zwischenstation für die zwei jüdischen Frauen sein. Lene bereitet schon die Auswanderung vor, in Palästina soll endlich alles besser werden.

Regisseur Christian Petzold weitet die Korsage des historischen Dramas schon allein, indem er seine Hauptfigur, Nelly, als Frau ohne Gesicht einführt: Es ist eingewickelt, unter den Mullbinden alles zertrümmert, verschwollen. Man denkt an die geheimnisvollen Doppelprojektionen von Identitäten und Biografien in zentralen Werken des Film noir, dessen Stilismen Petzold in „Phoenix“ ganz bewusst einarbeitet. Aber auch an das Horrorkino mit seinen Albtraumideen vom Gesichter- und Seelentausch, an Georges Franjus „Augen ohne Gesicht“ (1960) etwa, in dem ein Chirurg das nach einem Unfall entstellte Gesicht seiner Tochter mit Hauttransplantationen wiederherzustellen sucht. Petzold, Regisseur und Cinephiler, erzählt in seinen Filmen auch über das Kino selbst – aber nie kniefällig. „Wie wollen Sie aussehen?“, wird Nelly vom plastischen Chirurgen gefragt, „wie Zarah Leander oder die Söderbaum? Sind beide jetzt wohl aus der Mode.“

Berlin kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs hat selten so ausgesehen und gewirkt wie in diesem Film: Sogar die Kellerwohnung von Nellys Mann ist hell und licht, die Stadt erfüllt vom Leben. Dieser Johnny (Ronald Zehrfeld) arbeitet in einem der vielen Berliner Nachtklubs, die kurz nach dem Kriegsende hoffen lassen und glauben machen, dass jetzt schon noch etwas kommen kann.

Die Totgeglaubte spielt sich selbst

„Phoenix“ heißt die Bar, ihr Eingang strahlt in sattem Rot durch die Nacht. Johnny, das erfährt Nelly von Lene, soll sie an die Nazis verraten haben. Jedenfalls geht der Kerl davon aus, dass seine Frau im KZ umgekommen ist. Als er auf Nelly trifft, erkennt er sie aufgrund ihres veränderten Gesichts nicht und schlägt ihr einen Handel vor: Sie soll die Totgeglaubte darstellen, als heroische Überlebende im Zug in den Bahnhof einfahren und ihm schließlich Zugang zu ihrem Erbe ermöglichen. Denn Nellys Verwandte sind alle umgebracht worden, und sie ist jetzt sehr reich.

Das Spiel mit eigenen und fremden Spiegelungen, das unheimliche Motiv der Doppelgängerin verwendet Petzold nicht zuletzt, um in „Phoenix“ über die Unmöglichkeit von Geschichtlichkeit im Film nachzudenken. Die Erzählung ist zwar in der Vergangenheit angesiedelt, aber der Regisseur durchmisst sie mit einer modernen Haltung, die kein Interesse an der Emulation oder Simulation von dem hat, was war. Alles ist widersprüchlich, auch Nellys Zuneigung zu dem Mann, der sie verraten hat. Nichts wird einer einfachen Auflösung zugeführt. Das Kurt-Weill-Lied „Speak Low“ schwebt als musikalisches Hauptthema durch den Film, erzählt von der Flüchtigkeit aller Dinge, vom unausweichlichen Voranschreiten des Lebens.

Am Ende wird Nelly, die vor dem Krieg als Sängerin erfolgreich war, es darbieten, in einem höchst konzentrierten Moment, in dem die Spiegelbilder und Lügengebilde in sich zusammenfallen müssen, herbeigeführt nicht von schnöden Worten, sondern von einer Singstimme. „Phoenix“, basierend auf dem französischen Krimi „Le retour des cendres“ von Hubert Monteilhet und Alexander Kluges Kurzgeschichte „Ein Liebesversuch“, ist ein elegantes, intelligentes Film-noir-Melodram mit Kammerspielelementen. Und endlich eine deutsche Kinoarbeit über das Dritte Reich und seine Trümmer jenseits von Schulfilmpädagogik und einfachem Sentiment: Petzold gräbt sich darin in tiefere Befindlichkeits- und Bewusstseinsschichten vor, zu einem Ort, den es nur im Kino geben kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2014)

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