„Wolken von Sils Maria“: Die Berge sind hier die Bühne

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Olivier Assayas bewegt sich in den „Wolken von Sils Maria“ auf 1800 Meter Seehöhe – und lässt auch die Landschaft über das Innenleben einer Schauspielerin erzählen.

Olivier Assayas ist einer der zentralen Kino-Erzähler der Gegenwart. Auch weil seine Filme an der Bruchstelle zwischen Popkultur, Philosophie und Politik stehen, aber selten bis nie kopflastig wirken, sondern aufgeladen sind mit Leben und Leidenschaft. Schicht für Schicht kann man, wenn man will, die Bedeutungsebenen abtragen: Zum Kern der Sache kommt man so allerdings nicht, denn die Essenz von Assayas liegt für gewöhnlich in allem gleichzeitig.

Wie ungeübt die Welt mit solchen Erzählern umgeht, merkt man schon daran, dass „Die Wolken von Sils Maria“ von vielen ein Meta-Film genannt werden – ganz so, als würde er sich über etwas erheben, als werfe er einen Blick von außen auf etwas. Tut er nicht. Es ist die Geschichte der erfolgreichen Schauspielerin Maria Enders (großartig: Juliette Binoche), die er entwirft. Und es ist vor allem ein Film über ihr Innenleben. Vor vielen Jahren hatte sie mit dem Stück „Maloja-Schlange“ des kultisch verehrten Autors und Regisseurs Wilhelm Melchior ihren ersten großen Erfolg und blieb ihrem Entdecker eng verbunden. Jetzt soll sie einen Lebenswerk-Preis für ihn entgegennehmen: Doch schon im Zug nach Zürich erfährt sie vom überraschenden Tod Melchiors. Die folgenden Wochen und Monate werden für Enders zu einer schmerzhaften, aber auch lustvollen Begegnung mit ihrer Vergangenheit. Denn der deutsche Regisseur Klaus Diesterweg (Lars Eidinger) überzeugt sie, erneut in „Maloja-Schlange“ aufzutreten – allerdings nicht in der Rolle der jungen Verführerin, sondern als ihr Gegenpart: eine Frau mittleren Alters, die gefangen genommen wird vom Reizspiel der Jugend und schließlich Selbstmord begeht. Als wäre das nicht schon Vexierspiegelei genug, doppelt sich die Paar-Konstellation des Stücks auch abseits der Theaterbühne. Mit ihrer persönlichen Assistentin Val (dauernd am Telefonieren, dennoch die vermutlich beste Leistung ihrer Karriere: Kristen Stewart) spielt Enders die Szenen durch, wobei sich mehr und mehr ein Spannungsverhältnis, durchaus auch ein erotisches, zwischen den beiden Frauen entwickelt. Das Fiktive und das Echte rinnen unaufhaltsam ineinander.

Schon Nietzsche schrieb in Sils Maria

Sils Maria, dieses Örtchen im Engadin auf knapp über 1800 Meter Seehöhe, war mit seinen imposanten Gebirgsformationen schon für Friedrich Nietzsche ein Lieblingsflecken Erde. Dort schrieb er etliche wichtige Werke, dort erdet jetzt Assayas seine Figuren. Es ist die ideale Kulisse für diese Geschichte, weil die Gleichgültigkeit und Härte der Natur Enders und ihre Lebensrollen auf eine universelle Ebene lupfen. Gleichzeitig ist die Landschaft Entsprechung ihres Innenlebens: Die „Maloja-Schlange“ ist nicht nur zum Mythos verklärtes Teilstück ihrer Biografie, sondern auch ein seltenes meteorologisches Phänomen, das sich in diesem Tal besonders gut beobachten lässt. Wolken schlängeln sich durch einen Kessel, behaupten für wenige Momente eine Aufhebung des naturgesetzlichen Oben und Unten. Bergfex und -filmer Arnold Fanck hat so eine „Maloja-Schlange“ 1924 gefilmt, ein kurzer Ausschnitt aus dem Werk ist in den „Wolken von Sils Maria“ auch zu sehen.

Olivier Assayas ist ein bekennender Kinonarr: Im Gegensatz zu anderen Regisseuren wie Quentin Tarantino jongliert er allerdings weniger offensichtlich mit Referenzen, sondern verweist eher auf sein berauschend ganzheitliches Verständnis der Kunstform. Am klarsten kommt das zum Ausdruck, wenn Maria Enders, fest verhaftet in der Hochkultur, auch wenn sie ab und zu durch Hollywood-Blockbuster turnt, mit jener Schauspielerin konfrontiert wird, die ihr junges Gegenüber im Stück spielen soll. Jo-Ann Ellis (wunderbar: Chloe Grace Moretz) ist recht klar an die Exzesskarrieren von Lindsay Lohan und anderen jungen Frauen in der Traumfabrik angelehnt und gilt Enders als alles, was falsch läuft im Kino. Mit Val sieht sie sich einen von Ellis' Filmen, einen prototypischen Effektreißer, im Kino an und ist danach voller Spott und Hohn für das, was sie gerade über sich ergehen lassen musste. Erst später wird sie erkennen, dass ihre Ablehnung vor allem damit zu tun hat, dass sie ihr eigenes Älterwerden nicht verkraftet. Gegen Ende bietet ihr ein trendiger Jungregisseur eine Rolle als „altersloses Hybridwesen“ an: Sie lehnt ab. Das sei ihr „zu abstrakt“. Konkret älter steht sie dann auf der Bühne und spielt in der „Maloja-Schlange“. Das Leben kann weiter gehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2014)

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