„Sehnsucht nach Paris“: Ein höchst erwachsener Film

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In ein beschauliches Leben zu zweit bricht das Begehren ein. Marc Fitoussi erzählt ohne Pathos, mit typisch französischer Gelassenheit.

Von allen Rollen, in denen man die zarte Französin Isabelle Huppert besetzen würde, steht die einer Viehzüchterin am Land wohl eher unten auf der Liste. Wenn man sie in Marc Fitoussis „Sehnsucht nach Paris“ nun zu Beginn beim Striegeln von Rindern sieht, ist man als Zuschauer versucht, zu denken, dass es sich hier um eine Parodie handelt. Doch dann tritt Jean-Pierre Darroussin als ihr Gatte hinzu und man begreift, dass gerade von dieser „Fehlbesetzung“ ein besonderer Charme ausgeht.

So agrarisch die Umgebung auch gesetzt ist, hier wird nicht die Lage französischer Bauern zu EU-Zeiten thematisiert. Nein, Fitoussi will seine Zuschauer für eine bestimmte Lebensphase interessieren, nämlich für das schwierige Alter, in dem sich die Figuren seines Films befinden. Ein Alter, das sich weniger in Lebensjahren als durch Umstände bestimmt: Die Kinder sind aus dem Haus, die persönlichen Ziele erreicht oder begraben, der Alltag hat einen bequemen und beschaulichen Rhythmus eingenommen. Doch was, wenn hier plötzlich wieder die Sehnsucht einbricht?

Huppert und Darroussin verkörpern Brigitte und Xavier Lecanu, deren größte Probleme zu Beginn des Films darin bestehen, dass einer ihrer Kunden, dem sie einen Stier verkauft haben, sie verklagen will. Und darin, dass Brigittes Hautausschlag am Dekolleté scheinbar schlimmer wird. Lösbare, aber lästige Probleme. Rauchend sitzt Brigitte eines Nachts in der Küche und beobachtet das Nachbarhaus, wo eine Gruppe von jungen Leuten eine Party feiert. Plötzlich steht einer von ihnen vor ihrem Fenster, bittet sie um Feuer und beginnt ihr Komplimente zu machen. Wie von sich selbst überrascht, lässt Brigitte sich auf den Flirt ein, geht schließlich mit zur Party, nur um dann ohne Abschied zu verschwinden.

Brigitte sucht das Abenteuer, oder?

Eigentlich ist nichts passiert. Aber wenige Tage später findet Brigitte sich in Paris wieder. Ihrem Mann hat sie erzählt, sie wolle wegen ihres Ausschlags den empfohlenen Hautarzt in Paris konsultieren. Dass sie stattdessen vom Bahnhof stracks den Laden anstrebt, von dem der junge Mann auf der Party als seinem Arbeitsplatz erzählt hat, wirkt weniger wie ein überlegtes Vorgehen als wie eine Zwangshandlung. Man sieht, hier bricht sich eine Sehnsucht Bahn, ein diffuser Wunsch, der noch gar nicht richtig formuliert ist. Denn so zielstrebig Brigitte die Verlängerung des Flirts mit dem jungen Mann betreibt, so klar bleibt dabei, dass es nicht um Liebe geht, sondern allenfalls um Abenteuer. Oder doch noch um etwas anderes?

Der französische Regisseur Marc Fitoussi erzählt diese Geschichte einer „kleinen Flucht“ völlig trocken, ohne Pathos. Er betont zuerst die Alltäglichkeit, das eingespielte Zusammenleben der Eheleute, um dann Brigitte bei ihrem Ausflug nach Paris zu begleiten, als wüsste er gar nicht, was seine Heldin vorhat. Als sei er selbst überrascht davon, dass sie sich zu Handlungen verleitet sieht, die sie sich kurz zuvor noch gar nicht zugetraut hätte. Ähnliches gilt für Xavier, der Verdacht schöpft und seiner Frau nachreist.

Wunderbar ist, wie Fitoussi das Alter seiner Figuren einfließen lässt: Obwohl es hier um Begehren und um Sex geht, spielt es nur als Geisteshaltung, nicht als Äußerlichkeit eine Rolle. Ohne die Würde seiner Figur zu beschädigen, zeigt Fitoussi, wie der junge Mann sich für Brigitte als ungeeignetes Objekt der Begierde entpuppt. Aber als hätte sie mit den erwachten Sehnsüchten das Sehen neu gelernt, war ihr sowieso schon ein eleganter älterer Herr in ihrem Hotel aufgefallen. Jesper (Michael Nyqvist) stellt sich ihr als dänischer Zahnarzt vor. Auf einem langen Spaziergang durch Paris loten die beiden ihre Sympathien und auch manches gegenseitige Befremden aus.

Fitoussis Film hält den Ton einer sehr erwachsenen – und man ist versucht zu sagen: typisch französischen – Gelassenheit. Er ist wie ein sanfter Appell dafür, Vertrauen in Beziehungen zu setzen und sich gleichzeitig Freiheiten zu lassen. Ein weniger erwachsenes Drehbuch hätte zumindest den Hautausschlag am Ende verheilen lassen. In „Sehnsucht nach Paris“ aber führt die Suche nach Therapie die Figuren sehr viel weiter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2015)

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